
Aufbruch von Zugvögeln nach einem Zwischenstopp ist hormongesteuert
Während ihrer langen Reisen legen Zugvögel Pausen ein, um ihre Fettreserven wieder aufzufüllen. Der Zweck der Zwischenstopps, Rast und Fressen, ist damit schlüssig. Bislang war jedoch unklar, welche Körpersignale den Weiterflug auslösen.
Ein Team um Forschende der Vetmeduni Vienna identifizierte nun erstmals ein Hormon, den auch bei Menschen bekannten Appetitregler Ghrelin, als Signalgeber für das Vogelhirn. Bei „vollgefressenen“ Gartengrasmücken, einer Singvogelart, war das Hormon in hoher Konzentration nachweisbar.
Wenn Ghrelin den Vögeln zusätzlich verabreicht wurde, steigerte es auch den höchst aktiven Zustand der Zugunruhe vor dem Weiterflug und zügelte den Appetit.
Die Ergebnisse, die im Fachjournal PNAS veröffentlicht wurden, bestätigen nicht nur die hormonelle Steuerung des Zugverhaltens von Vögeln. Sie könnten auch zum besseren Verständnis von Essstörungen beim Menschen beitragen.
Jedes Jahr machen sich Milliarden Zugvögel auf den Weg zurück aus ihren Winterquartieren nach Europa. Da ihre Energiereserven nicht für einen „Direktflug“ reichen, legen sie auf ihrer langen Reise Rastpausen ein.
Dabei können sie sich ausruhen und ihre Fettdepots wieder auffüllen. Dass die Zugvögel einen Zwischenstopp einlegen müssen, ist somit nachvollziehbar. Wie lang sie rasten und auf welchen Impuls hin die Vögel aber weiterziehen, war bislang unklar.
Ein Forschungsteam um Leonida Fusani vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni Vienna und dem Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien, und Wolfgang Goymann vom Max-Plank-Institut für Ornithologie in Seewiesen, konnte nun erstmals die hormonelle Steuerung durch den Botenstoff Ghrelin nachweisen.
Sie konnten außerdem zeigen, dass die bislang als inaktiv beschriebene Form des Hormons einflussreicher ist als angenommen.
Appetitregelndes Hormon als Aufbruchssignal identifiziert
Bei Säugetieren sorgt ein Hormonnetzwerk für die Regelung des Appetits. Die Botenstoffe geben vor, wieviel Nahrung wir aufnehmen und wann wir genug haben. Neben unter anderem Leptin und Cortisol wurde vor allem Ghrelin als ein wesentlicher Faktor der Appetitregulation identifiziert.
„Das Hormon wurde vor kurzem auch in Vögeln nachgewiesen. Wir untersuchten daher, ob es auch beim Verhalten der Zugvögel eine Rolle spielen könnte“, erklärt Fusani. Der Nachweis, dass Ghrelin ein Indikator und Signalgeber für den Weiterflug ist, gelang den Forschenden mit der Gartengrasmücke, Sylvia borin, durch zwei Versuchsreihen.
Auf ihrem Zwischenstopp auf der Mittelmeer Insel Ponza, Italien, wurden bei den Singvögeln zuerst die Fettdepots vermessen und die Konzentration von Ghrelin im Körper untersucht.
Es zeigte sich dabei, dass der Ghrelin-Gehalt im Blutkreislauf „fetter“ Gartengrasmücken höher war als jener ihrer dünneren Artgenossen. „Die Konzentration des Hormons stimmte genau mit dem Body-Mass-Index der Vögel überein“, so Goymann.
Der Hormongehalt im Kreislauf der Vögel spiegelte also exakt die Körperkondition wieder. Gartengrasmücken in einem guten körperlichen Zustand und damit hohem Ghrelin-Spiegel waren außerdem im Zustand der sogenannten Zugunruhe. Zum eigentlichen Zeitpunkt ihres Aufbruchs lässt sich diese Form höchster Aktivität selbst bei Zugvögeln in Gefangenschaft gut erkennen.
Inaktive Form des Hormons ebenfalls ein aktiver Einflussfaktor
Zugunruhe war auch beim zweiten Versuch des Forschungsteams ein Indikator für den Einfluss des Hormons. Ausgelöst wurde dieses Verhalten bei den Gartengrasmücken allerdings durch die bislang als inaktiv angesehene Form von Ghrelin. „Es gibt zwei Formen von Ghrelin im Blutkreislauf, eine acylierte und eine nicht-acylierte.
Bislang galt letztere als die inaktive Form des Hormons“, sagt Fusani. Die beiden Formen unterscheiden sich durch eine zusätzliche Acyl-Gruppe, einen Essigsäurerest, an der bislang als aktiv bekannten Variante des Hormons.
Die Forschenden verabreichten den Singvögeln in einem zweiten Versuchsansatz unterschiedliche Konzentrationen des Hormons.
Die acylierte Form von Ghrelin hatte keine Auswirkung auf die Tiere, die nicht-acylierte dagegen schon, vor allem bei Tieren, die ihre Energiedepots noch nicht ausreichend aufgefüllt hatten.
Das verabreichte „inaktive“ Ghrelin reduzierte den Appetit der getesteten Gartengrasmücken, erhöhte aber gleichzeitig ihre Aktivität, löste also Zugunruhe aus.
Hormonelle Steuerung des Vogelzugs als Denkanstoß für Säugetierforschung
Die Ergebnisse des Forschungsteams zeigten eindeutig, dass ein hormoneller Auslöser für den Weiterflug der Zugvögel verantwortlich ist.
„Damit konnte ein wesentlicher Faktor des Zugverhaltens, neben den natürlichen Einflüssen wie dem Wetter und der Nahrungsverfügbarkeit, identifiziert werden“, so Goymann.
Die Ergebnisse könnten allerdings auch zum Verständnis der Wirkung des Hormons in Säugetieren beitragen.
Der Nachweis, dass gerade die bislang als inaktiv angesehene Form von Ghrelin das Verhalten der Zugvögel beeinflusst, lässt auf alternative Mechanismen des Botenstoffs schließen. Das Hormon kann auch im nicht-acylierten Zustand die Blut-Hirn-Schranke überwinden.
Es könnte demnach erst im Nervenzentrum aktiviert werden und damit eine Reaktion auslösen. „Dieser Hinweis könnte dazu beitragen, die Regulation der Nahrungsaufnahme, Stoffwechselerkrankungen oder Adipositas beim Menschen aus einem neuen Blickwinkel zu erforschen“, sagt Fusani.
Publikation
Der Artikel „Ghrelin affects stopover decisions and food intake in a long-distance migrant” von Wolfgang Goymann, Sara Lupib, Hiroyuki Kaiya, Massimiliano Cardinale und Leonida Fusani wurde im Journal PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America) veröffentlicht.
DOI: 10.1073/pnas.1619565114
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