Doch nur ein einziger Zelltyp als Vorläufer für verschiedene Leukämien
(24.04.2012) Krebs tritt in einer verwirrenden Vielfalt von Formen auf. Die Krebsarten weißer Blutkörperchen allein können sehr unterschiedliche Eigenschaften haben. Wie entstehen diese Krebsformen eigentlich, und welche Faktoren bestimmen ihre Entwicklung?
Boris Kovacic und ein Team von der Vetmeduni Vienna konnten nun eine gängige Annahme dazu widerlegen, zumindest was Leukämien betrifft. Ihre Arbeit ist in EMBO Molecular Medicine erschienen und hat extrem wichtige Folgen für die Behandlung einer besonders aggressiven Form der Leukämie.
Vielen Formen von Krebs entstehen durch Mutationen in Körperzellen. Bisher nahm man an, dass das Stadium der Differenzierung dieser Zellen darüber entscheidet, welche Krebsform sich genau entwickelt. Beispielsweise nahmen Forscher an, dass die sogenannte chronische myeloische Leukämie (CML) aus Stammzellen des Knochenmarks entsteht, während eine andere Leukämieart, die sogenannte B-Zellen-assoziierte akute lymphatische Leukämie (B-ALL) aus Vorläuferzellen von B-Lymphozyten entsteht.
Gängige Sicht widerlegt
Diese Ansicht konnten nun Mitarbeitende der Institute für Tierzucht und Genetik und für Pharmakologie und Toxikologie, beide an der Vetmeduni Vienna, widerlegen. Die Forschenden konnten zeigen, dass sowohl CML als auch B-ALL aus den ursprünglichsten blutbildenden Zellen entsteht, den sogenannten hämatopoetischen Stammzellen.
Der Unterschied zwischen den beiden Krebsformen liegt in den weiteren Entwicklungspfaden, die die Krebszellen nehmen. Die übliche Ursache für CML und für B-ALL sind zwei leicht verschiedene Formen des durch Mutation entstandenen Krebsgens BCR/ABL, die man mit den Namenszusätzen p210 und p185 unterscheidet.
Überraschend gemeinsamer Urspung
Wenn die entarteten hämatopoetischen Stammzellen die mutierte Genversion BCR/ABLp210 enthalten, entsteht CML. Die kranken hämatopoetischen Stammzellen bleiben dabei erhalten und sorgen für den Fortbestand des Krebses. Will man CML heilen, muss man die kranken hämatopoetischen Stammzellen völlig loswerden.
Wenn in diesen Zellen jedoch durch Mutation stattdessen die Genversion BCR/ABLp185 entstanden ist, so entsteht daraus die hochaggressive B-ALL-Leukämie. Die Entdeckung des Forscherteams der Vetmeduni Vienna, dass beide Leukämieformen aus derselben Stammzellenart entstehen, war völlig unerwartet und stellt bisher geltende Erklärungen für diese Leukämieformen von Grund auf infrage.
Kovacic und seine Kollegen konnten in ihrer neuen Studie zudem zeigen, dass die B-ALL-Leukämie nur entsteht, wenn die mutierte Stammzelle dem Wachstumsfaktor Interleukin-7 ausgesetzt ist. Interleukin-7 ist in den allermeisten Fällen im Gewebe vorhanden. Entfernt man es während des Beginns der Zellentartung, so kann sich wiederum die B-ALL-Leukämie nicht entwickeln.
Gemeinsame Therapie nötig
Unglücklicherweise sprechen die Krebszellen, die die beiden BCR/ABL-Mutationen tragen, die zu CML und zu B-ALL führen, unterschiedlich gut auf Behandlungsversuche an. Die Zellen mit der BCR/ABL-Variante p185, die zu B-ALL führt, sind zwar gut für Behandlungen zugänglich, da sie im Körper der Erkrankten sehr häufig sind.
Bleibt aber nur eine einzige dieser Zellen verschont, so kann sich daraus in der Folge eine noch aggressivere Leukämieform entwickeln. Andererseits sind die p210-Zellen schwierig zu behandeln, da sie sich im Organismus sehr ruhig verhalten. Eine Therapie, die alle Tumorzellen als Ganzes ins Visier nimmt, kann deshalb nicht funktionieren, so Kovacics Erklärung.
Wir müssen noch viel mehr über die Entwicklung der Krankheit herausfinden. Wir brauchen in Zukunft eine Therapie, die bei den wirklichen Ursprüngen beider Leukämieformen ansetzt, bei den hämatopoetischen Stammzellen.
Der Artikel Diverging fates of cells of origin in acute and chronic leukemia der Autoren Boris Kovacic, Andrea Hoelbl, Gabriele Litos, Memetcan Alacakaptan, Christian Schuster, Katrin M. Fischhuber, Marc A. Kerenyi, Gabriele Stengl, Richard Moriggl, Veronika Sexl und des im Juli 2011 verstorbenen Hartmut Beug wurde in der Zeitschrift EMBO Molecular Medicine (2012, Vol. 4 pp. 283-297) veröffentlicht.
Die Vorarbeiten zu dieser Studie entstanden im Institut für Molekulare Pathologie (IMP). Die Studie entstand weiters unter der Mitarbeit von Teams der Medizinischen Universität Wien und des Ludwig Bolzmann Instituts für Krebsforschung in Wien.