Phylogeographische Untersuchungen an Argentinischer Landschildkröte

(03.03.2012) Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstituts Dresden haben anhand von DNA-Untersuchungen zusammen mit Kollegen aus Südamerika, den USA und Österreich herausgefunden, dass sich hinter den drei Arten der Argentinischen Landschildkröte Chelonoidis chilensis nur eine einzige verbirgt.

Sie zeigen außerdem, dass auf der Südhalbkugel die genetische Vielfalt dieser Reptilien in Richtung Süden abnimmt. Die zugehörige Studie ist heute im Fachblatt „Zoologica Scripta" erschienen.

Argentinische Landschildkröte vor ihrer Unterkunft; Bildquelle: Peter Praschag
Argentinische Landschildkröte vor ihrer Unterkunft

Die südamerikanische Landschildkröte Chelonoidis chilensis ist zwar deutlich kleiner, als ihre berühmte Verwandte, die Galapagos-Riesenschildkröte, aber mindestens genauso interessant.

Die morphologischen Unterschiede und insbesondere die unterschiedliche Körpergröße der Panzerträger haben dazu geführt, dass diese südamerikanischen Landschildkröten bisher in die drei nominellen Arten Chelonoidis chilensis, Chelonoidis. donosobarrosi und Chelonoidis petersi unterteilt wurden.

„Von ‚nominellen Arten‘ spricht man, wenn diese zwar nomen-klatorisch unterschieden werden, aber nicht eindeutig Stellung bezogen wird, ob diese auch wirklich verschieden sind“, erklärt Professor Uwe Fritz, „Wir haben das Erbgut dieser Tiere untersucht und nur vernachlässigbar geringe Unterschiede feststellen können. Daher gehen wir davon aus, dass es sich nur um eine einzige Art handelt.“

Die nördlichen Argentinischen Landschildkröten erreichen gerade einmal eine Panzerlänge von 17 Zentimetern, während die südlichen mit mehr als 43 Zentimetern mehr als doppelt so groß werden.

Das unterschiedliche Aussehen der Tiere, die von der trockenen Gran Chaco-Region im Inneren Südamerikas bis ins nördliche Patagonien verbreitet sind, erklären die Dresdner Wissenschaftler mit der „Bergmann'schen Regel“.

Diese besagt, dass die Körpergröße bei Schildkröten mit dem geographischen Breiten¬grad zunimmt, die gleiche Art ist demnach im Süden größer als im Norden des Verbreitungsgebiets.

Umgekehrt verhält es sich mit der genetischen Vielfalt der Landschildkröte: diese nimmt von Norden nach Süden ab.

Der Äquator ist demnach eine Art Spiegel, denn auch auf der Nordhalbkugel verringert sich die genetische Diversität mit steigenden Breitengraden – das Bild des „genetisch reichen Südens“ und des „genetisch einheitlichen Nordens“ ist dort schon lange bekannt.

Die phylogeographischen Untersuchungen von Fritz und seinen Kollegen bestätigen das Muster nun auch für die Südhalbkugel.

Die Chelonoidis chilensis ist damit – neben einem patagonischen Frosch – erst der zweite Fall, der das Modell des genetisch „reichen Nordens und einheitlichen Südens“ beschreibt.

Eine Erklärung für diese Muster sind die während der letzten Eiszeit entstandenen „Glazialrefugien“. Dort fanden wärme-liebende Tiere und Pflanzen, die durch die Vereisung in weiten Teilen ihres Verbreitungsgebietes ausstarben, kleine Zufluchts-stätten und überlebten.

Mit der Erwärmung in der Nacheiszeit breiteten sich die Arten wieder aus. Während in den Refugien eine relativ große genetische Vielfalt erhalten blieb, zeichnen sich die Populationen in den wiederbesiedelten Gebieten durch eine viel geringere Vielfalt aus, da sie auf relativ wenige Gründerindividuen zurückgehen.

„Auf beiden Hemisphären nimmt die genetische Diversität in höheren Breitengraden mit zunehmender Entfernung vom Glazialrefugium ab“, erläutert Fritz die Ergebnisse „Erstaunlich fanden wir aber, dass die Schildkröten in relativ kurzer Zeit den südlichen, vormals lebensfeindlichen Raum zurück erobert haben.“

Denn Schildkröten bewegen sich erfahrungsgemäß nur sehr langsam – wie schafften sie es dennoch in maximal 10.000 Jahren eine Distanz von 1.000 Kilometern zu überbrücken?

Fritz und Kollegen gehen davon aus, dass die südamerikanischen Landschildkröten durch Hochwasserereignisse mitgerissen wurden und auf Treibgut den Desguadero-Fluss entlang in Richtung Süden drifteten.

Publikation
Fritz, U., Alcade, L. Vargas-Ramirez, M., Goode, E. V., Fabius-Turoblin, D.U. & Praschag, P. (2012): Northern genetic richness and southern purity, but just one species in the Chelonoidis chilensis complex, Zoologica Scripta, DOI 10.1111/j.1463-6409.2012.00533.x

weitere Meldungen

Gefleckte Weichschildkröte (Pelodiscus variegatus) ; Bildquelle: T. Ziegler

Studie zur Verbreitung der Gefleckten Weichschildkröte liefert Basis für Schutzprogramm

Erhaltungszuchtprogramme sollen den Schutz der vom Aussterben bedrohten Gefleckten Weichschildkröte unterstützen
Weiterlesen

Die Lederschildkröte (Dermochelys coriacea) kann bis zu zwei Meter groß werden.; Bildquelle: National Seashore, WikimediaCommons

Panzergröße: Wie sich Schildkröten in den letzten 200 Millionen Jahren entwickelten

Internationale Forschende haben die bisher umfänglichste Datensammlung zu Körpergrößen von rezenten und fossilen Schildkröten zusammengestellt
Weiterlesen

Bauchpanzer (links) und Rückenpanzer (rechts) der neu beschriebenen Schildkrötenart; Bildquelle: Zoltan Csiki-Sava

Schildkröten in Osteuropa überlebten das Massensterben der Dinosaurier

Forschungsteam der Universität Tübingen untersucht 70 Millionen Jahre alte Fossilien aus dem heutigen Rumänien
Weiterlesen

Das Verbreitungsgebiet der großen asiatischen Flussschildkröte Batagur trivittata ist um mindestens 90 Prozent geschrumpft.; Bildquelle: Rick Hudson

Über 50 Prozent aller Schildkrötenarten bedroht

Ein Team internationaler Wissenschaftler aus den USA, Frankreich, Australien und Deutschland, unter ihnen Senckenberger Uwe Fritz, hat die 9. Auflage des Atlas „Turtles of the World“ veröffentlicht
Weiterlesen

Die Callagur-Schildkröte (Batagur borneoensis) aus Südostasien wurde in den letzten 30 Jahren durch die Ausbeutung als Nahrungsmittel fast ausgerottet.; Bildquelle: Callagur-Schildkröte

Mehr als die Hälfte aller Schildkrötenarten von der Ausrottung bedroht

51 internationale Schildkröten-Fachleute haben am 23. Juni 2020 die umfassendste Studie über die globale Gefährdung von Schildkröten im Fachjournal „Current Biology“ veröffentlicht
Weiterlesen

Anhand von genetischen Untersuchungen wurde eine zweite Art der Fransenschildkröte entdeckt.; Bildquelle: Henrik Bringsøe

Neue Art der Fransenschildkröten entdeckt

Senckenberg-Wissenschaftler Uwe Fritz hat mit einem internationalen Team anhand von genetischen Untersuchungen eine neue Fransenschildkröten-Art beschrieben. Bislang war man davon ausgegangen, dass es nur eine einzige Art der Gattung Chelus gibt
Weiterlesen

Der Schädel von Schildkröten unterscheidet sich stark von dem anderer Reptilien.; Bildquelle: I. Werneburg

Weiteres Teil der Schildkrötenevolution hinzugefügt

In einer im Fachjournal „Nature Scientific Reports“ veröffentlichten Studie hat Senckenberger Ingmar Werneburg mit einem internationalen Team bestehende Hypothesen widerlegt und neues Licht auf die Evolution der Schädelarchitektur geworfen
Weiterlesen

Der venezolanische Paläontologe Rodolfo Sánchez neben dem Panzer eines Stupendemys geographicus Männchens; Bildquelle: Edwin Cadena

Ausgestorbene Riesenschildkröte hatte fast 3 Meter langen Panzer mit Hörnern

Paläobiologen der Universität Zürich haben in Venezuela und Kolumbien Überreste einer ausgestorbenen Süsswasser-Schildkröte entdeckt
Weiterlesen

Kurzmeldungen

Universitäten

Neuerscheinungen