Gen zur Seidenproduktion bei Spinnen zeigt individuelle Strukturen

(15.05.2023) Menschen schätzen Seide als Naturfaser für Textilien – für Lebewesen wie Schmetterlinge, Spinnen oder Köcherfliegen hingegen ist sie Grundlage zum Überleben, sei es als Kokon für ihren Nachwuchs oder zum Beutefang. Wo genau im Erbgut der Tiere die Fähigkeit verankert ist, unterschiedliche Beschaffenheiten von Seide zu bilden, und wie sich diese im Detail im Laufe der Evolution entwickelt hat, ist bisher kaum erforscht.

Die Larven von Köcherfliegen wie Arctopsyche grandis produzieren Seide, die unter Wasser aushärtet und klebt, dabei aber elastisch bleibt und eine hohe Zugkraft aufweist.; Bildquelle: Wikimedia Commons, Bob Henricks, Lizenz CC BY-SA 2.0
Die Larven von Köcherfliegen wie Arctopsyche grandis produzieren Seide, die unter Wasser aushärtet und klebt, dabei aber elastisch bleibt und eine hohe Zugkraft aufweist.

Neue Ergebnisse zeigt eine Studie unter Beteiligung von Wissenschaftler*innen des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) und des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt.

Menschen schätzen Seide als Naturfaser für Textilien – für Lebewesen wie Schmetterlinge, Spinnen oder Köcherfliegen hingegen ist sie Grundlage zum Überleben, sei es als Kokon für ihren Nachwuchs oder zum Beutefang.

Die aus Proteinen bestehende Seide, elastisch oder klebrig (oder beides zugleich), wird als Faser oder, wie bei den Köcherfliegen, als Flüssigkeit über Drüsen abgesondert.

Wo genau im Erbgut der Tiere die Fähigkeit verankert ist, unterschiedliche Beschaffenheiten von Seide zu bilden, und wie sich diese im Detail im Laufe der Evolution entwickelt hat, ist bisher kaum erforscht.

Neue Ergebnisse zeigt eine Studie unter Beteiligung von Wissenschaftler*innen des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) und des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt, die im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht wurde.

Seide ist die einzige in der Natur vorkommende textile „Endlos-Faser“ – der Seidenfaden eines Kokons kann bis zu drei Kilometer lang sein. Besonders lang sind auch die Gene, die Insekten und Spinnen die Herstellung von Seide ermöglichen. Zudem wiederholt sich das Muster einiger Genabschnitte immer wieder, wie eine Kette aus unterschiedlich langen, verschieden gefärbten Legosteinen.

Die genaue Analyse ihrer Abfolge ist jedoch entscheidend dafür, zu verstehen, welche Eigenschaften der Seide das Gen vorgibt, zum Beispiel in Bezug auf Festigkeit oder Elastizität.

Neue Technologien der Genomsequenzierung ermöglichen neue Einblicke in diese Voraussetzungen: Das Team aus US- und südamerikanischen sowie Frankfurter Forschenden konnte nun Seidengene nicht nur in ihrer gesamten Länge, sondern auch mit großer Detailtiefe analysieren.

„Während bestimmte Merkmale eines Lebewesens auf einzelnen Genen beruhen, wird deren individuelle Ausprägung von den Varianten, den so genannten Allelen, des Gens bestimmt – so vermutlich auch bei der Seidenproduktion“, erklärt Dr. Jacqueline Heckenhauer vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „Wir konnten erstmals zeigen, dass sich die Allele des Seidengens im individuellen Tier unterscheiden, sowohl in der Länge als auch in der Anzahl der sich wiederholenden Abschnitte. Dadurch kommt eine unglaublich vielfältige Beschaffenheit des Seidengens zustande.“

Für den Vergleich wählten die Forschenden fünf Arten aus der Gruppe der Gliederfüßer (Arthropoden) aus: einen Schmetterling (Vanessa cardui), drei Köcherfliegen-Arten (Arctopsyche grandis, Atopsyche davidsoni, Hesperophylax magnus) mit unterschiedlicher Seidennutzung und eine Spinne (Argiope argentata).

Für die Spinne und die Köcherfliege Arctopsyche grandis erstellten sie dabei neue, besonders hochwertige Gensequenzen, sogenannte Referenzgenome, die auch der künftigen weiteren Erforschung dieser Arten zugutekommen.

Auch die evolutionäre Entwicklung der Seidenproduktion haben die Wissenschaftler*innen in den Blick genommen. „Es ist bereits bekannt, dass die Fähigkeit, Seide herzustellen, mehrfach unabhängig während der Evolution von Insekten und anderen Gliederfüßern entstanden ist.

Wir haben darüber hinaus entdeckt, dass die Variationen, die wir bei den Seidengen-Allelen beobachten, auffallend übereinstimmend sind zwischen zwei Gruppen von Gliederfüßern, die sich seit mehr als 500 Millionen Jahren unabhängig voneinander entwickelt haben: Spinnen und Insekten.

Dies könnte darauf hindeuten, dass es trotz unabhängiger evolutionärer Entwicklungen gemeinsame Mechanismen für die Entstehung und Erhaltung derjenigen Gene gibt, die Proteine wie Seide verantworten“, führt Insekten-Experte Steffen Pauls aus, Professor für Allgemeine Entomologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) sowie Forscher bei Senckenberg und am LOEWE-Zentrum TBG, das er sechs Jahre lang als Co-Sprecher führte.

Da Gene mit sich wiederholenden, variierenden Motiven auch für Eigenschaften anderer Lebewesen bekannt sind – zum Beispiel für das Protein, das Fischen einen Frostschutz ermöglicht, oder für das für die Haar- und Nagelbildung bei Säugetieren wichtige Faserprotein Keratin – wäre es laut der Forschenden interessant, für diese Gene ebenfalls die Variation der Allele zu untersuchen.

„Auch in diesem Bereich der genomischen Forschung können wir viele Erkenntnisse gewinnen, die für die anwendungsorientierte Forschung interessant sind. So sind zum Beispiel Köcherfliegenlarven in der Lage, Seide zu produzieren, die unter Wasser aushärtet und klebt, dabei aber elastisch bleibt und eine sehr hohe Zugkraft aufweist. Diese könnte unter anderem für eine industrielle Nachahmung ein hilfreiches Vorbild sein“, blickt Pauls in die Zukunft.

Publikation

Publikation in Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS):
Paul B. Frandsen, Scott Hotaling, Ashlyn Powell, Jacqueline Heckenhauer, Akito Y. Kawahara, Richard H. Baker, Cheryl Y. Hayashi, Blanca Ríos-Touma, Ralph Holzenthal, Steffen U. Pauls, Russell J. Stewart
Allelic resolution of insect and spider silk genes reveals hidden genetic diversity


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