Fischviren liefern neue Therapieansätze für Hepatitis B

(02.04.2021) Forscher*innen des Universitätsklinikums Freiburg weisen nach, dass spezielle Fischviren evolutionär mit Hepatitis-B-Viren verwandt sind

Hepatitis-B-Viren vermehren ihr Erbgut über eine komplexe und einzigartige Strategie, deren evolutionärer Ursprung bislang unbekannt war. Nun konnten Wissenschaftler*innen des Universitätsklinikums Freiburg in Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg zeigen, dass entfernt verwandte Viren aus Fischen nach einem sehr ähnlichen Mechanismus ihr Erbgut vermehren.

Universitätsklinikums Freiburg Diese Erkenntnisse könnten zukünftig für neue therapeutische Ansätze im Kampf gegen chronische Hepatitis B genutzt werden. Veröffentlicht wurden die Forschungsergebnisse am 22. März 2021 in der Online-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America - PNAS.

„Hepatitis-B-Viren zeigen einen sehr ungewöhnlichen Vermehrungsmechanismus, den wir bisher von keinen anderen Viren kannten. Wie Hepatitis-B-Viren evolutionär entstanden sind, war daher lange Zeit ein großes Rätsel“, erklärt der Initiator der Studie Dr. Jürgen Beck aus der Arbeitsgruppe für Molekulare Virologie von Prof. Dr. Michael Nassal der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Freiburg.

In der Forschungsgruppe wird seit mehr als 30 Jahren die molekulare Biologie der Hepatitis-B-Viren erforscht. Dieses Rätsel konnten die Freiburger Forscher*innen nun zu einem großen Teil entschlüsseln.

Nackte Viren geben entscheidenden Hinweis

Sie verglichen die Erbinformationen von Hepatitis-B-Viren mit denen einer erst im Jahr 2017 entdeckten Familie von Fischviren. Diese besitzen keine äußere Hülle und wurden daher von ihren Entdeckern Dr. Stefan Seitz (Universität Heidelberg) und Dr. Chris Lauber (DKFZ, Heidelberg) als „nackte“ DNA-Viren bezeichnet und in Anspielung auf den schwäbischen Dialekt "Nackednaviren" getauft.

Die evolutionäre Entwicklung der beiden Virusfamilien trennte sich nach Berechnungen von Beck und Kolleg*innen vor rund 400 Millionen Jahren. Der entscheidende Schritt dabei war die Entstehung eines neuen Gens, welches den Hepatitis-B-Viren ihre Hülle und damit eine ausgeprägte Spezifität für die Leber verlieh.

„Diese verwandtschaftliche Konstellation bot uns eine einzigartige Gelegenheit die Entwicklung des Replikationsmechanismus der Hepatitis-B-Viren über einen extrem langen Zeitraum zu untersuchen“, erläutert Nassal.

Uraltes Schlüssel-Schloss-Prinzip

Die Wissenschaftler*innen stellten nun fest, dass Hepatitis-B-Viren und Nackednaviren den gleichen Mechanismus nutzen, damit viruseigenes Erbgut und Virus-Proteine in den menschlichen Zellen zusammenfinden. „In einer Leberzelle gibt es tausende verschiedener zell-eigener Erbgutabschriften.

Darum ist die Suche nach der richtigen Abschrift ähnlich schwierig wie das Finden der eigenen Küken in einer Seevogelkolonie. Die Natur hat dieses Problem gelöst, indem sie das Virus-Erbgut mit einem hochspezifischen Signal ausgestattet hat, einer Art Barcode“, erklärt Beck. Diese als „Epsilon-Signal“ bezeichnete dreidimensionale Struktur am Erbgut wird von den verarbeitenden Virus-Proteinen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip erkannt.

Besonders bemerkenswert ist, dass sich „Epsilon“ über 400 Millionen Jahre nur wenig verändert hat. Diese extreme Konservierung lässt vermuten, dass dieser komplexe Mechanismus bereits sehr früh evolutionär optimiert wurde und weitere genetische Veränderungen ohne Verlust der Vermehrungsfähigkeit nur eingeschränkt möglich sind.

Das macht ihn zu einem interessanten Angriffspunkt für die Entwicklung neuartiger Therapeutika gegen das humane Hepatitis B Virus (HBV): Aufgrund der hohen Anpassung ist nicht davon auszugehen, dass HBV sein Schlüssel-Schloss-Prinzip verändert, um die Blockade zu umgehen. Resistenzentwicklungen gegen entsprechende Wirkstoffe sind daher eher unwahrscheinlich.

Rund 250 Millionen chronisch Hepatitis-B-Infizierte

HBV ist einer der bedeutendsten Krankheitserreger des Menschen. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge haben etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung bereits eine Infektion mit HBV durchgemacht. Dabei eliminiert das Immunsystem in vielen Fällen den Eindringling schnell und ohne nachhaltige Schäden.

Bei mehr als 250 Millionen Infizierten gelingt dies jedoch nicht und es kommt zu einer chronischen, oft lebenslangen Infektion der Leber, die durch die immer wieder aufflammenden Attacken des Immunsystems stark geschädigt werden kann. Jährlich fast eine Million Todesfälle durch Leberzirrhose und Leberkrebs sind die traurige Folge.

Aktuelle Therapien mit modifizierten Grundbausteinen der DNA können zwar die Vermehrung des Virus stark unterdrücken, schaffen es aber meist nicht das Virus komplett zu eliminieren. Erschwerend kommt hinzu, dass im Verlauf der Therapie leicht Virusmutanten entstehen, die gegen die Wirkung der Medikamente resistent sind. Die Entwicklung neuer therapeutischer Strategien, idealerweise mit geringem Resistenzpotential, ist daher medizinisch von großer Bedeutung.




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