Rätsel um wiederentdeckten Tiefseesaibling im Bodensee gelöst

(11.01.2023) Heutige Tiefseesaiblinge (Salvelinus profundus) aus dem Bodensee sind sowohl genetisch als auch in ihrer Gestalt mit historischen Exemplaren nahezu identisch.

Zugleich unterscheidet sich der Normalsaibling (Salvelinus cf. umbla) deutlich von früher im See vorkommenden Individuen.

Dies zeigt eine neue Studie von Forschern der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM), der Fischereiforschungsstelle Langenargen und der Universität Bergen (Norwegen). Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler nun in der Fachzeitschrift Ecological Applications.


Tiefseesaibling Salvelinus profundus aus dem Bodensee

Ein unglaublicher Fischfang im Bodensee gab Expert:innen seit 2014 eine ganze Fülle von Rätseln auf. Wissenschaftler:innen der Fischereiforschungsstelle Langenargen (FFS/LAZBW) sowie des Wasserforschungsinstituts der Schweiz (EAWAG) entdeckten damals einige Exemplare des Tiefseesaiblings in ihren Netzen – nachdem dieser über 40 Jahre lang verschollen war.

Hatte man den bis zu 25 cm langen Tiefseesaibling in einem der bestuntersuchten Gewässer der Welt einfach 40 Jahre übersehen?

Oder sind die wiederentdeckten Tiefseesaiblinge Abkömmlinge der normalen, nie ausgestorbenen Saiblinge, die sich im immer nährstoffärmeren Bodensee wieder an das Leben in der Tiefe anpassen konnten?

Um dem rätselhaften Wiederscheinen des Tiefseesaiblings auf den Grund zu gehen, befischte die Fischereiforschungsstelle über mehrere Jahre hinweg die großen Tiefen des Bodensees – und fing dabei neben dem bis zu 40 cm großen Normalsaibling (Salvelinus cf. umbla) auch immer wieder Exemplare des deutlich kleineren Tiefseesaiblings (Salvelinus profundus).

Genetische Untersuchungen ergaben nun, dass die DNA der heutigen Tiefseesaiblinge nahezu identisch ist mit der DNA der früheren, vor über 40 Jahren im Bodensee lebenden Tiefenformen.

Einer Forschergruppe um Jan Baer (FFS/LAZBW) und Ulrich Schliewen (SNSB-Zoologische Staatssammlung München) gelang es, für ihre Studie aus historischen Sammlungen brauchbare DNA-Fragmente zu gewinnen.

Überrascht hat die Wissenschaftler auch, dass sich die DNA des nie verschollenen Normalsaiblings deutlich von der DNA früher im See vorkommender Individuen unterscheidet.

Die Arbeit liefert außerdem klare Belege dafür, dass Normal- und Tiefseesaiblinge nach wie vor völlig unterschiedliche Laichgebiete und Laichzeiten besitzen.

Hypothesen zur Vermischung beider Formen oder rapide evolutionäre Anpassungsstrategien – wie sie von Teilen der Fachwelt kurz nach der Wiederentdeckung des Tiefseesaiblings angestellt wurden – haben sich daher nicht bestätigt.

Die Ergebnisse des Vergleichs von historischen mit den heutigen Saiblingsformen des Bodensees wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift Ecological Applications veröffentlicht.

„Offenbar haben Hilferufe der Berufsfischer in den 1950er Jahren Wirkung gezeigt: Schon früh ergriffene Maßnahmen gegen Überdüngung haben offenbar die Erhaltung des Lebensraums des Tiefseesaiblings bewirkt.

Die heutigen Tiefseesaiblinge stammen direkt von ursprünglichen Exemplaren ab. Es muss also einigen Tieren gelungen sein, in der Tiefe des Sees unentdeckt zu überleben“, so Dr. Jan Baer von der Fischereiforschungsstelle Langenargen.

„Unsere Daten zeigen aber gleichzeitig auch, was Besatzmaßnahmen im Bodensee mit Saiblingen aus aller Welt bis in die 1990er Jahre bewirkt haben: Die ursprüngliche Normalform des Saiblings aus dem Bodensee wurde fast vollständig verdrängt und größtenteils durch einen Mix aus Zuchtfischen ersetzt“, sagt Dr. Ulrich Schliewen Fischexperte der Zoologischen Staatssammlung München.

Da Bodensee-Anrainer inzwischen seit Jahren keine fremden Saiblinge mehr in den Bodensee einbringen, hoffen die Projektverantwortlichen, dass sich die letzten Nachkommen der ursprünglichen Normalsaiblinge im Lauf der Zeit wieder durchsetzen werden.

Publikation

Baer, Jan, Schliewen, Ulrich K., Schedel, Frederic D. B., Straube, Nicolas, Roch, Samuel, and Brinker, Alexander. 2022. “Cryptic Persistence and Loss of Local Endemism in Lake Constance Charr Subject to Anthropogenic Disturbance.” Ecological Applications e2773.


Weitere Meldungen

Amsel ; Bildquelle: MPI f. Max Planck Institut für Ornithologie/ Michael Dvorak

Zahl der Vogelbrutpaare am Bodensee stark gesunken

Die Region hat innerhalb von 30 Jahren 120.000 Brutpaare verloren
Weiterlesen

Erwachsene männliche Höhlenschmerle mit 8,5 Zentimeter Körperläng; Bildquelle: Universität Konstanz

Sensationsfund am Bodensee: erster Höhlenfisch in Europa

Das Limnologische Institut der Universität Konstanz ist an der Erforschung des ersten Höhlenfisches Europas beteiligt
Weiterlesen

WWF Österreich

Wolf-Sichtung am Bodensee: Österreich soll von Deutschland lernen!

„Willkommensworte“ vom baden-württembergischen Umweltminister für den Rückkehrer – Minister: „Miteinander von Mensch und Wolf gewährleisten“
Weiterlesen

Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMGF)

H5N8-Virus in einem Freiland-Putenmastbetrieb am Bodenseeufer in Vorarlberg

Das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMGF) bestätigt das Auftreten von hochpathogenem H5N8-Virus in einem Freiland-Putenmastbetrieb am Bodenseeufer in Vorarlberg
Weiterlesen

Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV)

Vorsorgliche Massnahmen gegen die Vogelgrippe am Bodensee

Bei toten Wildvögeln am Bodensee wurde das Vogelgrippe-Virus H5N8 nachgewiesen. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) ordnet nun Kontroll- und Beobachtungsgebiete an
Weiterlesen

Universität Bern

Im Bodensee kann man zuschauen, wie eine neue Art entsteht

Manchmal geht Evolution viel schneller als wir denken. Genetische Analysen ermöglichen es, sehr frühe Stadien der Artbildung zu erkennen und Artbildungsprozesse besser zu verstehen
Weiterlesen

Stichlingsmännchen aus dem Bodensee (unten) und einem Zufluss (oben). Gut erkennbar: die unterschiedlich starken Knochenplatten entlang des Körpers, die bei den Flussstichlingen reduziert sind.; Bildquelle: Universität Basel, Marius Rösti

Bodensee-Stichlinge: Neues Licht auf die Evolution ähnlicher Arten

Bei ähnlichen, aber geografisch voneinander getrennten Populationen geht man grundsätzlich davon aus, dass sie durch eine unabhängige Anpassung an vergleichbare Umgebungen entstanden sind
Weiterlesen

Internationale Fachmesse PFERD BODENSEE; Bildquelle: PFERD BODENSEE

Internationale Fachmesse PFERD BODENSEE

Vom 10. bis 12. Februar 2012 findet die 5. PFERD BODENSEE statt – Pflichttermin für Ross und Reiter – Forum „Pferdebetriebe der Zukunft“ gibt fundierte Impulse
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen