Biomarker für Langzeitstress: dem Stress im Stall auf der Spur

(13.12.2021) Verbessertes Tierwohl und optimale Haltungsbedingungen unserer Nutztiere haben eine immer größere gesellschaftliche Bedeutung.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsinstitutes für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf waren auf der Suche nach schonenderen, minimal-invasiven Methoden zum Nachweis von Langzeitstress bei Nutztieren erfolgreich.

In einem von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) geförderten Verbundprojekt, zusammen mit dem Friedrich-Loeffler-Institut für Tierschutz und Tierhaltung (FLI-ITT) Celle (Niedersachsen), konnten die Forschenden die Bestimmung von Glukokortikoid-Biomarkern zum retrospektiven Nachweis von Langzeitbelastungen weiterentwickeln.

Stress im Stall

Grundlage ist die Bestimmung der Stresshormone Cortisol in Haarproben von Rindern und Schweinen sowie Corticosteron in Federn von Hühnern und Puten.

„Stressreaktionen des Organismus sind überlebenswichtig; anhaltend erhöhte Stresshormonspiegel weisen bei Nutztieren jedoch auf Probleme in der Haltung hin“, erklärte Projektleiter Dr. Winfried Otten vom Institut für Verhaltensphysiologie am FBN.

Zu große Hitze, zu wenig Platz, sozialer Stress oder die Isolation von Artgenossen und Langeweile – Stress im Stall kann viele Ursachen haben. Darunter leidet nicht nur das Wohlbefinden der Tiere. Chronisch gestresste Tiere verursachen auch zusätzliche Kosten, sie können schneller krank werden oder wachsen langsamer.

Stresshormone können bei Tieren zur Bewertung von Belastungszuständen in Blut-, Speichel-, Urin- oder Kotproben gemessen werden. „Die Probenentnahme selbst kann dabei für die Tiere stressig sein und der Hormongehalt in diesen Proben spiegelt nur die Belastung kurz vor dem Zeitpunkt der Entnahme wider. Langzeitaussagen sind schwierig und nur anhand vieler Proben möglich“, beschrieb Dr. Winfried Otten die grundsätzliche Problemlage.

„Unser Ziel war es, den Stresshormonnachweis in Haaren und Federn in ein einfaches und präzises Verfahren zur Bestimmung von Langzeitstress bei Nutztieren weiterzuentwickeln, ähnlich wie es in der Stressforschung beim Menschen schon Anwendung findet.

Während des Haar- und Federwachstums erfolgt nämlich eine kontinuierliche und stabile Einlagerung der Hormone und anhand einer Probe könnte die Stressbelastung der vorangegangenen Wochen und Monate ermittelt werden.“

Erstmalig wurden daher am FBN bei Nutztieren der zeitliche Verlauf der Cortisoleinlagerung ins Haar durch Stress sowie stressunabhängige Einflussfaktoren systematisch erforscht.

Die Tierärztin Dr. Susen Heimbürge hat im Rahmen dieses Projekts promoviert und dazu in den vergangenen Jahren bei Rindern und Schweinen nicht nur den Einfluss verschiedener Stressoren, sondern auch von Faktoren wie Haarfarbe, Haartyp und -alter auf Haarcortisolkonzentrationen untersucht.

„Anhand eines experimentellen Stressmodells beim Rind konnten wir erstmals zeigen, dass eine mehrwöchige Stressbelastung der Tiere durch erhöhte Cortisolkonzentrationen in verschiedenen Haartypen, nämlich in nativen und nachgewachsenen Körperhaaren sowie in Segmenten von Schwanzhaaren nachweisbar ist“, erläuterte Dr. Otten die Befunde.

„Je nach Haarlänge lässt sich so in einer Probe die Stressgeschichte von mehreren Wochen bis zu einigen Monaten ablesen.“ Als neues Ergebnis konnten die Wissenschaftler erstmalig aufzeigen, dass beim Nutztier einzelne Haarsegmente retrospektiv als eine Art Kalender der Stressbelastung verwendet werden können.

Während sich die Eignung des Verfahrens beim Rind als Stressindikator bereits bestätigt hat, sind beim Schwein und Geflügel noch weiterführende Studien notwendig, da Störeinflüsse durch Verschmutzungen der Haare die Messungen beeinflussen können.

Grundsätzlich kann mit der Bestimmung von Glucocorticoiden in Haaren und Federn die Messung von Langzeitstress auch in der Nutztierhaltung in Zukunft erheblich vereinfacht werden und diese physiologischen Biomarker könnten sich daher auch für den Einsatz in einem Tierwohl-Monitoring-System eignen.

„Zur Verbesserung des Tierwohls soll auch in Zukunft am FBN die Forschung nach innovativen minimal-invasiven Indikatoren unter Verwendung von Haaren, Federn bis hin zu Fischschuppen fortgeführt werden“, kündigte der Wissenschaftler an.

Publikationen

Bartels, T.; Berk, J.; Cramer K.; Kanitz, E.; Otten, W. (2021): Research Note: It’s not just stress - Fecal contamination of plumage may affect feather corticosterone concentration. Poultry Sci., 100: 101494.

Bartels, T.; Berk, J.; Cramer K.; Kanitz, E.; Otten, W. (2021): Research Note: A sip of stress. Effects of oral corticosterone administration on feather corticosterone concentrations in layer pullets. Poultry Sci., 100: 101361.

Otten, W.; Bartels, T.; Heimbürge, S.; Tuchscherer, A.; Kanitz, E. (2021): The dark side of white hair? Artificial light irradiation reduces cortisol concentrations in white but not black hairs of cattle and pigs. Animal, 15(6): 100230.

Otten, W.; Heimbürge, S.; Kanitz, E.; Tuchscherer, A. (2020): It’s getting hairy – External contamination may affect the validity of hair cortisol as an indicator of stress in pigs and cattle. Gen. Comp. Endocrinol., 295: 113531

Heimbürge, S.; Kanitz, E.; Tuchscherer, A.; Otten, W. (2020): Is it getting in the hair? – Cortisol concentrations in native, regrown and segmented hairs of cattle and pigs after repeated ACTH administrations. Gen. Comp. Endocrinol., 295: 113534

Heimbürge, S.; Kanitz, E.; Tuchscherer, A.; Otten, W. (2020): Within a hair’s breadth – Factors influencing hair cortisol levels in pigs and cattle. Gen. Comp. Endocrinol., 288: 113359.

Heimbürge, S.; Kanitz, E.; Otten, W. (2019): The use of hair cortisol for the assessment of stress in animals. Gen. Comp. Endocrinol., 270: 10-17

Aus dem Projekt entstandene und erfolgreich an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig verteidigte Promotion

Susen Heimbürge (2021): Hair cortisol concentration in cattle and pigs: Investigation of influencing factors and the potential as an indicator of long-term stress.


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