Dummerstorfer Wissenschaftler weisen nach, dass Ziegen in Kategorien denken

(17.12.2012) Wie sich höhere Lernleistungen auf das Verhalten, die Wahrnehmung der Haltungsumwelt und das Wohlbefinden bei Nutztieren auswirken, das untersuchen Wissenschaftler des Forschungsbereichs Verhaltensphysiologie am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf.

Am Beispiel von Zwergziegen wurden dazu im Rahmen eines Projektes, das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde, das Verständnis allgemeiner Zusammenhänge, also das, was man kognitive Leistungsfähigkeit nennt, bei Nutztieren analysiert.


Zwergziege im Lernautomaten

Mit dem Wissen über ihre Lern- und Kognitionsfähigkeit soll langfristig die Haltungsumwelt verbessert und das Wohlbefinden gesteigert werden. Denn fehlende Kenntnisse über die Lernleistungen können zu einem falschen Umgang mit Nutztieren führen. Umgekehrt sind diese durch anhaltendes Lerntraining in der Lage, auf Belastungssituationen flexibler zu reagieren.

Ein Teilkomplex des DFG-Projektes befasste sich mit den kognitiven Fähigkeiten von Nutztieren zur „Kategorienbildung“ unter realen Haltungsbedingungen.

Um die Menge an Informationen einer komplexen und sich ständig ändernden Umgebung rasch zu erfassen, angemessen und effizient auf neue Reize reagieren zu können, reduzieren intelligente Organismen die Informationen über Objekte aufgrund von Gemeinsamkeiten und ordnen diese abstrakten Kategorien zu.

In den letzten zwanzig Jahren ist die Kategoriebildung für zahlreiche Säuger und auch für einige Vögel nachgewiesen worden. Ob Zwergziegen, stellvertretend als Modell für sozial lebende Wiederkäuer, dazu in der Lage sind, wurde anhand von Lernaufgaben ermittelt.

Aus dem Bestand des FBN wurden 26 weibliche, junge Zwergziegen (Capra hircus) unter identischen Haltungsbedingungen in zwei Gruppen eingestallt. Die etwa zwölf Quadratmeter großen, eingestreuten Versuchsbuchten verfügten unter anderem über einen jederzeit frei zugänglichen Rundfütterer (300 g Kraftfutter pro Tag und Tier) und über eine zweistöckige Kletterpyramide.


Abb. 1: Im Training verwendete Symbole die zwei verschiedenen Kategorien folgten. ObereKategorie 1 Symbole mit weißem Zentrum, belohnt. Untere Reihe: Kategorie 2 , schwarz gefüllte Symbole, unbelohnt. Abb. 2: Beispiel eines 4-fach Diskriminierungsproblems mit einem belohnten und drei unbelohnten Symbolen. Abb. 3: Im Transfer-Test eingesetzte Symbole, aufgeteilt in zwei aufeinanderfolgende Blöcke. Obere Reihe: Kategorie 1, belohnt. Untere Reihe: Kategorie 2, unbelohnt.
Wasser konnten die Tiere hingegen nur über einen am FBN entwickelten vollautomatischen Lernautomaten, der in einem separaten blickdichten Abteil der Bucht stand, bekommen. Dazu wurden den Tieren auf einem Computerbildschirm vier verschiedene künstliche Symbole angeboten, denen jeweils ein Schalter zugeordnet war. Drei der Symbole waren unbelohnt.

Durch Druck eines Schalters mit dem Nasenrücken erhielten die Tiere bei Wahl des als richtig definierten Symbols eine kleine Portion Wasser als Belohnung in eine unter dem Bildschirm befindliche Tränkschale. Nach jeder Wahl wechselten die Symbole per Zufallsauswahl die Anordnung auf dem Bildschirm. Bei einer anfänglich geringeren Lernleistung konnten die Tiere ihren Wasserbedarf durch eine erhöhte Anzahl an Schalterbetätigungen decken.

Mit einem speziellen Versuchsdesign wurden über mehrere Monate Tests über das individuelle Lernverhalten von Zwergziegen in größeren Gruppen am FBN durchgeführt. Ziegen, die Symbole mit einem weißen Zentrum am Lernautomaten erkannten, sind mit Wasserzufuhr belohnt (Kategorie 1: belohnt) worden.

Tiere, die bei den gleichen jedoch komplett schwarz gefüllten Symbolen den Schalter betätigten, erhielten keine Belohnung (Kategorie 2) [Vgl. Abb. 1]. Dieses Verfahren wurde mit einem Symbol aus der Kategorie 1 und dreien aus der Kategorie 2 in verschiedenen Kombinationen (4-fach-Diskriminierungsproblem) trainiert [Vgl. Abb. 2].

Die Ergebnisse machten deutlich, dass beide Kategorien bereits nach drei Trainingsaufgaben von den Ziegen erfasst wurden. Dies deutet darauf hin, dass Zwergziegen nicht „nur“ optische Muster unterscheiden, sondern visuelle Symbole anhand von spezifischen Gemeinsamkeiten (schwarz gefüllt oder mit weißen Zentrum) einer abstrakten Kategorie (Belohnung, Nichtbelohnung) zuordnen können.

Durch weitere Tests (Transfer-Tests) konnte nachgewiesen werden, dass Zwergziegen sogar in der Lage sind, diese erlernten Kategorien auf komplett neue Symbole zu übertragen und anzuwenden [Vgl. Abb. 3].

In weiterführenden Untersuchungen soll nun am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie geklärt werden, wie sich am Beispiel des Lernens, Temperament und Verhaltensflexibilität bei landwirtschaftlichen Nutztieren auswirken. Darüber hinaus wird künftig erforscht, wie Zwergziegen emotional mit Lernaufgaben umgehen.

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 86 selbständige Forschungseinrichtungen. Deren Ausrichtung reicht von den Natur, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen.

Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Wissenschaftscampi -, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland.

Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam.

Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 16.500 Personen, darunter 7.700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,4 Milliarden Euro.



Weitere Meldungen

Studienaufbau (a) mit der Barriere, unter der in einem Fall die Werkzeugenden zu sehen sind (b), die Werkzeugenden nicht zu sehen sind (c) oder hinter der sich ein Stück Futter verbirgt (d).; Bildquelle: MPI für evolutionäre Anthropologie

Menschenaffen wissen, wenn sie etwas nicht wissen

Schimpansen und Orang-Utans suchen nach Informationen, um Wissenslücken zu schließen
Weiterlesen

Die Entstehung von sozialer Kompetenz wird mit dem Gruppenleben von Tieren in Zusammenhang gebracht, auch bei Kolkraben.; Bildquelle: Matthias Loretto, Universität Wien

Raben: "Junggesellen" leben in dynamischen sozialen Gruppen

Kolkraben haben erstaunliche kognitive Fähigkeiten beim Umgang mit Artgenossen – diese sind durchaus vergleichbar mit vielen Affenarten
Weiterlesen

Raben; Bildquelle: Jorg Massen

Einige Vögel sind genauso schlau wie Affen

Einige Vogelgruppen sind mental ebenso schlau wie Affen. Zu dieser Schlussfolgerung kommen Thomas Bugnyar von der Universität Wien und Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität Bochum in einem Übersichtsartikel in der Zeitschrift "Trends in Cognitive Sciences"
Weiterlesen

Deutsches Primatenzentrum GmbH

Kognition, Evolution, Verhalten: Warum existieren Männer?

Verhaltensbiologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz treffen sich vom 17.bis 19. Februar 2016 zu Ihrer jährlichen Tagung am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen
Weiterlesen

Raben versteckten ihr Futter dann gut, wenn dominante Artgenossen im Nachbarraum sichtbar und gleichzeitig hörbar waren; Bildquelle: Jana Müller, Universität Wien

Raben können sich in die Sichtweise ihrer Artgenossen hineinversetzen

Raben stellen sich vor, was andere Raben sehen können: Zu diesem Ergebnis kommen die Kognitionsbiologen Thomas Bugnyar und Stephan Reber von der Universität Wien gemeinsam mit dem Philosophen Cameron Buckner (University of Houston, Texas)
Weiterlesen

Rabenkrähen lernten, beliebige Bilder in zwei Gruppen einzuteilen. Einzelne Nervenzellen reagierten auf alle Bilder, die in eine bestimmte Gruppe gehörten ‒ unabhängig vom Bildmotiv; Bildquelle: Lena Veit

Nervenzellen im Krähengehirn ordnen Bilder richtig zu

Während des Lernens entstehen Reaktionsmuster, die relevante Zusammenhänge anzeigen ‒ ähnlich wie beim Säugetier
Weiterlesen

Durch Zusammenarbeit konnten die Raben an jeweils ein Stück Käse gelangen; Bildquelle: Jorg Massen, Universität Wien

Raben kooperieren – aber nicht mit jedem

Raben merken sich Artgenossen, die sie "übers Ohr hauen"
Weiterlesen

Neukaledonische Krähe hält ein Stöckchen; Bildquelle: Auguste von Bayern

Werkzeuggebrauchende Papageien und Krähen spielen ähnlich mit Objekten wie Kleinkinder

Die Art, wie Spielzeuge gehandhabt und miteinander kombiniert werden, sagt einiges über die kognitiven Eigenschaften des Spielers aus
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen