Studie zu Bewegungsabläufen von Hunden

(28.05.2011) Zoologen der Universität Jena legen Ergebnisse der weltgrößten Studie zur Fortbewegung von Hunden vor und ermöglichen erstmals exakte Einblicke in die Bewegungsabläufe



Chihuahua im Schritt. Die Bewegungen von 327 Hunden aus 32 Rassen wurden mit einer Hochgeschwindigkeits-Röntgenvideoanlage aufgezeichnet
Wie läuft ein Hund? Auf diese zunächst einfach klingende Frage eine fundierte Antwort zu geben, war selbst für Fachleute bisher nahezu unmöglich. „Wir wussten es einfach nicht“, sagt Prof. Dr. Martin S. Fischer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.


Gewiss: Ein Hund bewegt sich auf vier Beinen, im Schritt, Trab oder Galopp. Doch die exakten Abläufe innerhalb des Bewegungsapparates konnten selbst der Jenaer Zoologe und seine Fachkollegen bislang bestenfalls vermuten.

Denn: „Bisherige wissenschaftliche Studien beschränkten sich überwiegend auf die Fortbewegung kranker Tiere oder auf einzelne Aspekte der Fortbewegung“, so Fischer, der den Lehrstuhl für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie innehat. Um dies zu ändern, haben Prof. Fischer und sein Team 2006 eine umfassende Untersuchung zur Bewegung von gesunden Hunden gestartet und jetzt deren Ergebnisse vorgelegt.

Mit enormem technischen Aufwand haben die Forscher die Bewegungsabläufe von 327 Hunden aus 32 Hunderassen vermessen, dokumentiert und verglichen. So wurden die Tiere in verschiedenen Gangarten zunächst von zwei Hochgeschwindigkeitskameras jeweils von vorn und von der Seite gefilmt. „Zusätzlich haben wir die Bewegungen dreidimensional analysiert“, erläutert Dr. Karin Lilje.

 

Hunde in Bewegung

Hunde in Bewegung

Erstmalig wird in diesem Buch die Fortbewegung von Hunden wissenschaftlich fundiert und gleichzeitig allgemein verständlich dargestellt und erklärt
Weiterlesen

Dafür hat die Zoologin den Tieren reflektierende Marker auf die Haut geklebt und ihre Bewegungen mit Infrarot-Kameras gefilmt. Diese senden kurze Blitze aus und registrieren deren Reflexionen.

Bis zu 1.000 Aufnahmen pro Sekunde gingen anschließend in die Analysen ein. „Da die Reflexionen der Markerpunkte jeweils von mehreren Kameras aufgezeichnet wurden, konnten wir aus den Daten die jeweilige Lage der Marker im Raum berechnen“, so Dr. Lilje weiter. Außerdem wurden die Bewegungen der Hunde mit einer Hochgeschwindigkeits-Röntgenvideoanlage aufgezeichnet.

Das Uni-Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie, zu dem auch das Phyletische Museum gehört, verfügt weltweit über eine der modernsten und leistungsfähigsten Anlagen dieser Art. „Durch die Kombination dieser drei Methoden liegen uns nun Daten zur Fortbewegung von Hunden in bisher nicht gekannter Genauigkeit vor“, so Fischer.



Prof. Dr. Martin S. Fischer von der Universität Jena (mit Hündin Branca). Der Zoologe und sein Team haben die bisher umfassendste Studie zur Fortbewegung von Hunden vorgelegt
Wie lückenhaft und in wesentlichen Aspekten rundweg falsch das Wissen über den Bewegungsapparat der Hunde bis dato war, zeigen zahlreiche Skelettdarstellungen und -präparate von Hunden, wie sie in vielen Lehrbüchern und Museen bis heute zu sehen sind: Diese positionieren Hüft- und Schultergelenk der Tiere auf gleicher Höhe.


„Dies setzt aber voraus, dass sich diese beiden Gelenke entsprechen und die Drehpunkte bei der Bewegung sind – ein Irrtum, wie wir jetzt anhand unserer Analysen nachweisen können“, macht Prof. Fischer deutlich. Demnach haben sich im Laufe der Evolution aus den – zunächst aus je zwei Segmenten bestehenden – Beinen Gliedmaßen mit je drei Segmenten entwickelt.

"So kommt bei den Vorderbeinen das Schulterblatt als körpernahes Segment hinzu. Während bei den Hinterbeinen der Mittelfuß umgebaut wurde“, so Evolutionsbiologe Fischer. Das hat zur Folge, dass sich nun nicht mehr Oberschenkel und Oberarm bzw. Unterschenkel und Unterarm in ihrer Bewegung entsprechen, sondern Schulterblatt und Oberschenkel, Oberarm und Unterschenkel und Unterarm und Mittelfuß.

Der Drehpunkt der Vorderbeine ist das Schulterblatt, das nur über die Muskulatur mit dem Skelett verbunden ist. Das eigentliche Schultergelenk bleibt bei der Fortbewegung der Hunde dagegen nahezu unbeweglich.

„Diese Erkenntnisse werden die akademische Lehre verändern“, ist Prof. Fischer überzeugt. Dafür legen die Zoologen mit ihren Studienergebnissen nun umfangreiches Anschauungsmaterial vor: Anhand der hochaufgelösten Röntgen- und Positionsdaten haben die Forscher die Bewegungsabläufe in Videosequenzen animiert. So lassen sich nicht nur die Skelette von Hunden in Bewegung von allen Seiten betrachten.

Auch die dazugehörende Muskulatur und ihr Aktivitätsmuster lassen sich je nach Gangart und Bewegungsphase detailiert studieren. „Im Unterschied zu bisherigen Animationen basieren unsere Videosequenzen auf exakten Messwerten. Damit setzen wir neue Maßstäbe“, ist sich Fischer sicher.

Eine weitere überraschende Erkenntnis liefert die Jenaer Studie zur Hundefortbewegung hinsichtlich der Proportionen der Vorderbeine der untersuchten Hunderassen. Diese erwiesen sich bei allen Rassen als nahezu identisch.

„Zwar ist klar, dass etwa der Oberarm eines Schnauzers kürzer ist als der einer Dogge“, so Fischer. Bezogen auf die Gesamtlänge des Vorderbeines betrage dessen Länge aber immer exakt 27 Prozent. Die relative Länge des Schulterblattes variiere dagegen zwischen 24 und 34 Prozent. „Bei kurzbeinigen Hunden ist das Schulterblatt relativ lang, bei Windhunden relativ kurz. Aber der Oberarm bleibt immer gleich lang.“

Dem „Röntgenblick“ verdanken die Zoologen außerdem die Entdeckung, dass sich Schulterblatt und Unterarm bzw. Oberschenkel und Mittelfuß parallel – wie gekoppelt – bewegen. „Steht etwa der Unterarm vertikal, dann tut das auch das Schulterblatt“, erläutert der Jenaer Wissenschaftler. Dieses Prinzip eines „Pantographenbeines“ sei in seinem Bewegungsablauf hochgradig von der Länge des dazwischenliegenden Segmentes abhängig.

„Und das ist der Oberarm, der bei allen Hunden exakt gleich lang ist.“ Daraus lasse sich schlussfolgern, dass alle Hunde, egal ob zwei oder 80 Kilogramm schwer, sehr ähnlich laufen.

Ihr umfangreiches Daten- und Bildmaterial haben die Jenaer Zoologen in einer reich illustrierten Publikation zusammengefasst. Der soeben erschienene Band „Hunde in Bewegung“, von dem es auch eine englischsprachige Ausgabe („Dogs in Motion“) gibt, richtet sich nicht nur an ein Fachpublikum. „Wir wollen damit ausdrücklich alle Hundehalter und -liebhaber erreichen“, betont Prof. Fischer.

Für das Buch wurden in enger Kooperation mit zwei Illustratoren über 100 Abbildungen neu erstellt und eine eigene Bildsprache gefunden. Dem Band liegt eine DVD mit umfangreichem Videomaterial bei, das Hochgeschwindigkeitsvideos ausgewählter Rassehunde, Röntgenfilme und viele Animationen beinhaltet.

Bibliographische Angaben:
Martin S. Fischer, Karin E. Lilje: „Hunde in Bewegung“, VDH Service GmbH und Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart, 2011, 208 Seiten, Preis: 49,95 Euro, ISBN 978-3-440-13075-9




Weitere Meldungen

Lahmende Hunde verändern ihren Bewegungsablauf; Bildquelle: N. Schilling

Belastungen durch asymmetrische Ausgleichsbewegungen lahmender Hunde

Eine Studie der TiHo Klinik für Kleintiere zum besseren Verständnis von Belastungen, die durch asymmetrische Ausgleichsbewegungen entstehen
Weiterlesen

Zehn Infrarotkameras liefern die Daten, aus denen ein dreidimensionales Computermodell erstellt wird, das die Bewegungsabläufe abbildet

Forscher der Universität Jena untersuchen, wie sich beinamputierte Hunde fortbewegen

Meist ist es ein Unfall, der in Sekundenschnelle alles verändert: Ein Zusammenprall mit einem Auto beispielsweise kann einem Hund so schwere Verletzungen zufügen, dass ihm ein Bein amputiert werden muss
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen