Archaeen-Vielfalt im Wirbeltier-Darm

(27.10.2021) Archaeen werden oft mit Bakterien verwechselt. Beide sind kleine, einzellige Organismen. Und doch unterscheiden sich Archaeen genetisch von Bakterien sehr erheblich. Obwohl Archaeen in vielen Lebensbereichen wie dem menschlichen Darm vorkommen, ist relativ wenig über sie bekannt.

Ein internationales Team von Forschern aus Deutschland und Österreich unter der Leitung von Nicholas Youngblut vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen hat deshalb eine erste groß angelegte Untersuchung der Archaeenvielfalt im Darm verschiedener Wirbeltiere durchgeführt.

Die Studie zeigt, dass die Vielfalt von Archaeen im Darm der Tiere größer ist als bisher angenommen.

Außerdem konnten die Forscher zeigen, wie sich die Verwandtschaft der Tiere und ihre Ernährung auf die Archaeenvielfalt auswirken.


Blick auf eine Archaeenkolonie im Rasterelektronenmikroskop.

Archaeen bilden neben Bakterien und Eukaryoten eine dritte Lebensdomäne in der Biologie. Zwar sind sowohl Bakterien als auch Archaeen einzellige Organismen ohne Zellkern, doch unterscheiden sie sich in wichtigen Aspekten. So erzeugen Archaeen beispielsweise Methan, indem sie die Abfallprodukte der bakteriellen Gärung verzehren.

Im Gegensatz zu Bakterien wurden bisher keine pathogenen Arten von Archaeen entdeckt, was zentrale Ursache dafür ist, dass Bakterien im tierischen Mikrobiom mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Daher weiß man bisher vergleichsweise wenig über die Vielfalt der Archaeen im Wirbeltierdarm und darüber, welche Faktoren diese Vielfalt beeinflussen.

Wie ein biologischer Fingerabdruck besiedeln bestimmte Gruppen von Mikroben die Därme von Vögeln, Säugetieren, Amphibien, Reptilien und Fischen. Mit ihrer Veröffentlichung in Nature Microbiology zeigen die Forscher nun, wie sich Archaeen in das Gesamtbild der Mikroben im Darm einpassen.

"Wir waren erstaunt über die Spezifität, aber auch über die Vielfalt der Archaeenarten, die wir im Darm von Wirbeltieren fanden. Darunter war auch das Archaeon Methanothermobacter", erklärt Nicholas Youngblut vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, der Erstautor der Studie.

"Es ist bekannt, dass Methanothermobacter nur in heißen Umgebungen von etwa 60 Grad Celsius vorkommt, daher war sein Nachweis in einer großen Anzahl verschiedener Wirbeltiere überraschend.

Wir konnten feststellen, dass diese Gattung besonders häufig und weit verbreitet bei Vögeln vorkommt, was auf deren höhere Körpertemperatur von etwa 40 Grad Celsius und wärmer zurückzuführen sein kann."

Breiter Datensatz von beeindruckender Qualität

Ähnliche Studien bei Tieren wurden nicht immer auf so einheitliche Weise durchgeführt. Dem Forschungsteam war es wichtig, wann immer möglich, Proben von Wildtieren zu erhalten, da sich das Mikrobiom von Tieren in Gefangenschaft stark von dem in freier Wildbahn unterscheidet.

Der Ansatz war daher sehr umfassend, da möglichst vollständige Daten gesammelt und analysiert werden sollten, um die verschiedenen Archaeengemeinschaften in wilden Wirbeltieren zu identifizieren und auch zu klassifizieren.

"Drei Viertel der von uns untersuchten Proben, die mit Unterstützung der Veterinärmedizinischen Universität Wien gesammelt wurden, stammten von Wildtieren", sagt Georg Reischer vom Forschungszentrum Wasser und Gesundheit der Technischen Universität Wien und ICC Water & Health, der die Studie mitverfasst hat. "Das ist einzigartig und liefert uns ein umfassendes Bild."

Frühere Arbeiten der Forscher haben gezeigt, dass bestimmte den Darm bewohnende Archaeen vererbbar sind, ähnlich wie Augenfarbe oder Körpergröße. Das deutet darauf hin, dass die menschliche Genetik die Archaeenvielfalt im Darm beeinflusst.

Die Arbeit von Youngblut und seinen Forscherkollegen erweitert nun das Blickfeld auf eine bislang nicht erkannte evolutionäre Bandbreite und zeigt Beweise für eine uralte Verbindung zwischen Archaeen und Tieren.

Die Forscher beweisen auch, dass eng verwandte Tierarten mehr ähnliche Archaeen beherbergen und dass bestimmte spezifische Archaeen wahrscheinlich in den Därmen der ersten Wirbeltiere bereits vorhanden waren. Zuvor hatten die Forscher bereits gezeigt, dass die Ernährung ein wichtigerer Faktor für die bakterielle Vielfalt im Darm von Wirbeltieren ist.

Besseres Verständnis über die Koevolution von Mikroben

Nicholas Youngblut, Gruppenleiter in der von Ruth Ley geleiteten Abteilung für Mikrobiomforschung am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, beschäftigt sich mit Fragen zur Ökologie und Evolution von wirtsassoziierten Methanogenen, d. h. Methan produzierenden Archaeen.

Die Studie steht in direktem Zusammenhang mit seinen Fragen nach einer gemeinsamen Evolutionsgeschichte von Mensch und Darmmikroben und dem Potenzial für Koevolution.

Sein Hauptaugenmerk liegt auf dem Verständnis, wie sich die Darmmikroben an die Darmumgebung angepasst haben und welche Auswirkungen dies auch auf die Gesundheit des Wirts hat.

Dazu gehören Projekte, die sich mit der Frage befassen, wie die Evolutionsgeschichte und die Ökologie von Wirbeltieren die Variationen in der mikrobiellen Gemeinschaft des Darms erklären.

Auch befasst sich Youngblut mit Fragen zur Ökologie und Evolution von Methanogenen im menschlichen Darm. Dabei nutzt er eine Kombination aus molekularbiologischen und bioinformatischen Methoden.

Publikation

Nicholas Youngblut et al. Vertebrate host phylogeny influences gut archaeal diversity. Nature Microbiology (2021).


Weitere Meldungen

Tüpfelhyänen am Gemeinschaftsbau des Clans im Serengeti-Nationalpark in Tansania; Bildquelle: Sarah Benhaiem/Leibniz-IZW

Sozialer Status hinterlässt Spuren im Erbgut von Tüpfelhyänen in Tansania

Forschende weisen an jungen und erwachsenen freilebenden Tüpfelhyänen nach, dass sich Sozialverhalten und sozialer Status durch epigenetische Mechanismen auf molekularer Ebene im Erbgut niederschlagen
Weiterlesen

Ostdorsche in einem Netzkäfig; Bildquelle: Annemarie Schütz, Thünen-Institut für Ostseefischerei

Dorschbestand durch Überdüngung und Klimawandel gefährdet

Der Ostdorschbestand ist seit Jahren in der Krise. Trotz historisch niedrigem Fischereidruck erholt sich der Bestand nicht. Bislang gab es hierfür keine schlüssige Erklärung.
Weiterlesen

Dr. Diane Grosjean

Kostenloses Small Animal Webinar: Elbow dysplasia: What’s up?

VAHL-Webinar (Kleintier) mit Dr. Diane Grosjean am Dienstag, 2. April 2024, 17:30 Uhr Uhr CET (auf Englisch)
Weiterlesen

Clinicopathological findings, treatment, and outcome in 60 cats with gastrointestinal eosinophilic sclerosing fibroplasia

Paper of the Month März 2024: Clinicopathological findings, treatment, and outcome in 60 cats with gastrointestinal eosinophilic sclerosing fibroplasia

Die vorliegende Studie, veröffentlicht in der Zeitschrift Journal of Veterinary Internal Medicine, untersucht die gastrointestinale eosinophils sclerosierende fibroplasie (GESF) bei Katzen
Weiterlesen

Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

3R-Initative: Weniger Tierversuche und höhere Datenqualität in der Biomedizin

Tierversuche ersetzen, reduzieren und notwendige Experimente verbessern! Alternativen zu Tierversuchen, die im Land erforscht werden, reichen von Organ-on-a-Chip-Modellen über Computersimulationen bis zu Pflanzenmodellen als „Grüne Gefäße“
Weiterlesen

Anheftung von Zika-Viruspartikeln (grün) und extrazellulären Vesikeln aus Samenflüssigkeit (rot) an Zielzellen (Zellkerne in blau) bei steigenden Vesikel-Konzentrationen von links nach rechts; Bildquelle: Rüdiger Groß

Warum sich Zika- und Dengue-Viren bevorzugt durch Blut übertragen

Warum erfolgt die Infektion mit dem Zika-Virus und anderen Krankheitserregern eher durch Insektenstiche als über Speichel oder Sperma, obwohl das Virus darin vorkommt?
Weiterlesen

Zebrabärblinge; Bildquelle: zhane luk – stock.adobe.com

Wie viele Fische machen einen Schwarm?

Auch Physiker interessieren sich für Fische – vor allem, wenn sie die Bildung von Strukturen erforschen
Weiterlesen

Universitätsmedizin Augsburg

Seltene Borna-Virus-Erkrankung früher erkennen

Wissenschaftler und Ärzte der Universitätsmedizin Augsburg haben eine mögliche frühe diagnostische Methode zum Nachweis der seltenen Borna-Virus-Gehirnentzündung gefunden. Ihre Erkenntnisse wurden in der höchst renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen