Kadaver-Verwertung: Kooperation von Totengräber-Käfern und Mikroorganismen

(22.05.2017) Team des Max-Planck-Instituts Jena und der Universitäten Gießen und Mainz untersucht Rolle von Bakterien und Hefen für den ökologischen Erfolg von Insekten

Ein Team von Forscherinnen und Forschern des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena, des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie, der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz hat die Rolle des Schwarzhörnigen Totengräbers (Nicrophorus vespilloides) und seiner Mikroorganismen bei der Verdauung und chemischen Konservierung von Aas während der Brutzeit untersucht.


Totengräber-Käfer

Totengräber-Käfer nutzen Aas als eine zwar nahrhafte, aber schnell vergängliche Nahrungsquelle, die sie vergraben und durch die Zugabe von Mund- und Analsekreten chemisch konservieren.

Im Darm des Käfers fanden die Wissenschaftler Hinweise auf eine Vielzahl von Enzymen und antimikrobiellen Proteinen, die dafür sorgen, dass ein Kadaver verdaut und haltbar gemacht wird.

Außerdem werden Mikroorganismen aus dem Darm, die der Käfer mit seinen analen Ausscheidungen auf dem Kadaver aufbringt, auf die Käferlarven übertragen. (Nature Communications, May 9, 2017, DOI: 10.1038/ncomms15186)

Mit mehr als einer Million beschriebener Arten repräsentieren Insekten die Gruppe von Lebewesen mit der höchsten Artenvielfalt. Ihren außergewöhnlichen evolutionären Erfolg verdanken Insekten zumindest teilweise ihren mikrobiellen Symbionten, also Mikroorganismen, die im jeweiligen Insekt vorkommen.

Sie helfen ihnen, neue ökologische Nischen zu erschließen, beispielsweise über die Fähigkeit, ungewöhnliche Nahrung zu verdauen. Insekten, die schnell vergängliche oder temporäre Nahrungsquellen nutzen, minimieren die Entwicklungszeit ihrer Larven und vermeiden so Konkurrenz und Räuber.

Allerdings benötigen diese Insekten einen hochwirksamen Verdauungsmechanismus, der für eine rasche Aufnahme von Nährstoffen und Umwandlung von Biomasse während der Larvenentwicklung sorgt.

Gleichzeitig müssen Insekten, die Futter für ihre Larven bereithalten, Verhaltensstrategien und Möglichkeiten der chemischen Essenskonservierung entwickeln, die ihnen einen Vorteil gegenüber Konkurrenten verschaffen.

Ein faszinierendes Beispiel sind Totengräber-Käfer (Nicrophorus spp), die sich von den Kadavern kleiner Säugetiere oder Vögel ernähren und dort auch ihre Eier ablegen. Sobald ein Kadaver aufgespürt wurde, arbeiten die Käfereltern gemeinsam daran, das tote Tier zu vergraben und somit vor konkurrierenden Fliegen zu verstecken, die ebenfalls ihre Eier dort ablegen wollen.

Außerdem entfernen sie die Haare oder Federn und formen einen „Fleischball“, den sie als Nahrung für ihren Nachwuchs vorbereiten.

Ein totes Tier ist eine wertvolle, wenn auch vergängliche Nahrungsquelle. Daher ist die Konkurrenz zu Bakterien und Pilzen, die auch den Kadaver zersetzen, groß. Diese schädlichen Mikroorganismen ändern nämlich nicht nur den Nährwert des Kadavers, sondern sie machen ihn ungenießbar oder sogar giftig für Tiere.

Das Gesamtheit aller aktiven Gene und die Gesamtheit aller Mikroorganismen des Totengräbers geben nun Aufschluss über potenzielle Mechanismen zur Konservierung und Aufbereitung der Nahrung für den Nachwuchs sowie der Abwehr von Konkurrenten.

Die spezifische Produktion von Verdauungsenzymen und antimikrobiellen Proteinen als auch die charakteristischen Bakterien und Pilze im Darm des Käfers sind wahrscheinlich essentiell für die Effizienz des elterlichen Brutpflegeverhaltens.

Die Eltern übertragen Sekrete, die reich an Enzymen, antimikrobiellen Wirkstoffen und symbiotischen Mikroorganismen sind, auf die Nahrung und reinigen sie chemisch von Krankheitserregern.

„Wir waren besonders überrascht, dass die von uns identifizierten symbiotischen Hefepilze nicht nur in Analsekreten der Totengräber zu finden waren, sondern auch auf den Nachwuchs übertragen wurden und auf dem Kadaver selbst aktiv waren,“ erklärt Heiko Vogel vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie.

Dem Totengräber ähnliche Verhaltensweisen sind bei vielen Insekten zu finden, die Brutpflege betreiben, und könnten dort vergleichbare Funktionen für die Verdauung, Entgiftung und Konservierung erfüllen.

Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass die Kooperation mit einer vielfältigen Gemeinschaft von Bakterien und Hefen zumindest teilweise für den ökologischen Erfolg von Totengräbern verantwortlich ist.

„Unsere Ergebnisse untermauern auch neuere Konzepte in der Biologie, die zwischen einer flexiblen, von der Umwelt veränderbaren mikrobiellen Gemeinschaft und einer an den Wirt angepassten, permanenten Darmflora unterscheiden“ erläutert Prof. Andreas Vilcinskas vom Institut für Insektenbiotechnologie der JLU.

Die Studie wurde im Rahmen des Projekts „Einsatz von Insekten-assoziierten Mikroorganismen in der industriellen Biotechnologie“ (AIM-Biotech) durchgeführt, das gemeinsam von der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft finanziert wird, um den Werkzeugkasten für die industrielle (weiße) Biotechnologie zu erweitern.

Diese konzentriert sich auf die Umwandlung von Naturstoffen (auch Abfallprodukte) in nützliche Industrieprodukte und nutzt dafür überwiegend Mikroorganismen und/oder Enzyme.

Insekten und ihre durch Koevolution entstandenen Mikroorganismen kooperieren möglicherweise, um ungewöhnliche oder herausfordernde Biomasse, wie Tierkadaver, in Nahrung für ihren Nachwuchs zu verwandeln.

Nützliche Mikroorganismen aus Insekten, die in Fermentern kultiviert werden können, sind von besonderem Interesse, da sie die biologische Umwandlung von organischen Abfällen in höherwertige Produkte ermöglichen.

Die neuartigen Hefen, die als Symbionten mit dem Totenkäfer kooperieren, sind vielversprechende Quellen neuer Enzyme für solche biotechnologische Anwendungen.

Publikation

Vogel, H., Shukla, S.P., Engl, T., Weiss, B., Fischer, R., Steiger, S., Heckel, D.G., Kaltenpoth, M., & Vilcinskas, A. (2017). The digestive and defensive basis of carcass utilization by the burying beetle and its microbiota. Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms15186



Weitere Meldungen

Gänsegeier konkurrieren auf der Dreiborner Hochfläche um einen ausgelegten Rehkadaver; Bildquelle: Sönke Twietmeyer/Nationalpark Eifel

Wildtierkadaver sind ein Hotspot für die Artenvielfalt

In Kooperation mit mehreren deutschen Nationalparks untersuchen Forschende der Uni Würzburg die Rolle von Aas in unseren Ökosystemen. Im Nationalpark Eifel bezeugten kürzlich ungewöhnliche Gäste den Erfolg des Projekts
Weiterlesen

Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Welche Rolle spielt Aas in unseren Ökosystemen?

Dieser Frage geht ein Team aus der Fakultät für Biologie der Uni Würzburg nach. Es kooperiert dabei mit 13 deutschen Nationalparks
Weiterlesen

Überreste eines Wapitihirsches im Yellowstone-Nationalpark.; Bildquelle: Anita Risch (WSL)

Kadaver im Yellowstone: Wie Wolfsrisse das Leben im Boden verändern

Wenn Wölfe Huftiere fressen, bleibt ausser Knochen, Haut und Mageninhalt wenig übrig. Darunter gedeiht jedoch eine überraschend artspezifische Mikrobengemeinschaft, zeigt eine von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL geleitete Studie
Weiterlesen

Im Gegensatz zu Totholz ist der Anblick von Tierkadavern in der Natur kaum akzeptiert. Leider, wie die Forscher finden.; Bildquelle: Roel van Klink

Auch tote Tiere sind wichtig fürs Ökosystem

Tierkadaver spielen eine wichtige Rolle für die Artenvielfalt und das Funktionieren von Ökosystemen – auch über längere Zeiträume
Weiterlesen

Ein Totengräber-Paar versorgt seine Jungen: Vater und Mutter haben einen toten Kleinnager konserviert.; Bildquelle: Shantanu Shukla, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Wie der Käfernachwuchs in Kadavern gedeiht

Totengräber-Käfer verwandeln mit Mikroorganismen aus dem eigenen Darm Kadaver in nährstoffreiche Kinderstuben für ihre Larven – Wichtige Ressource für die Antibiotikaforschung in Gießen
Weiterlesen

Nach sechs Tagen hatten Aasfresser den ersten Tierkadaver skelettiert.; Bildquelle: S. Weithmann, Universität Ulm

Kadaver verrotten schneller in naturnahen Wäldern

Tierkadaver verrotten im naturnahen Wald schneller als im stark genutzten Forst. Das zeigte Christian von Hoermann von der Universität Ulm anhand von Ferkelkadavern in 75 deutschen Waldstücken
Weiterlesen

Vier Pfoten

Eisbär Knut starb an Hirnerkrankung

Angesichts der Obduktion von knuts Kadaver, die eine Hirnerkrankung ergab, fordert die internationale Tierschutzorganisation VIER PFOTEN erneut ein Ende der Eisbärenhaltung in Zoos
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen