Verschollen geglaubte Bernsteine mit Inklusen wiederentdeckt

(17.07.2017) Die Königsberger Bernsteinsammlung war einst die größte wissenschaftliche Sammlung tierischer und pflanzlicher Einschlüsse in Bernstein aus dem Baltikum.

Teile der Sammlung wurden 1944 von Königsberg in den Westen transportiert. Der gerettete Bestand – knapp 20.000 Objekte, darunter etwa 12.000 Einschlüsse von Insekten und anderen Organismen – wird heute an der Universität Göttingen treuhänderisch für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwahrt und wissenschaftlich betreut.


Bizarr gestaltete Larve eines Schmetterlingshafts aus der Ordnung der Netzflügler (Neuroptera: Ascalaphidae) in Baltischem Bernstein � im Juni 2017 von der Harvard University zurückerhalten
Der Kustos des Geowissenschaftlichen Museums der Universität Göttingen, Dr. Alexander Gehler, stieß nun am Museum of Comparative Zoology der Harvard University auf Material, das der Königsberger Sammlung zuzuordnen ist. Im Juni 2017 wurden knapp 400 wertvolle Objekte wieder mit der in Göttingen aufbewahrten Sammlung vereint.

Jährlich wird die Sammlung von mehreren Dutzend Forschenden aus dem In- und Ausland genutzt. Vor einem Aufenthalt in Göttingen fragen sie an, ob das jeweils gewünschte Material vorhanden und verfügbar ist.

Dabei handelt es sich zum Beispiel um Kiefernnadeln, Köcherfliegen oder Kakerlaken, die seit etwa 50 Millionen Jahren in Harz konserviert sind. Den jetzigen Fund der als Kriegsverlust verschollen geglaubten Stücke brachte eine Ameise ins Rollen.

Im Sommer 2016 blieb die Suche nach dem Holotypus, also dem „Urstück“ einer 1910 erstmals beschriebenen Ameisenart zunächst erfolglos. In der Online-Datenbank des Museum of Comparative Zoology der Harvard University stieß Gehler schließlich auf ein artgleiches Tier, das der vor mehr als 100 Jahren publizierten Abbildung des Stückes der Königsberger Sammlung verdächtig glich.

Bei der weiteren Datenbank-Recherche entdeckte er auf einigen Fotos von Bernsteinen mit eingeschlossenen Insekten Inventarnummern der Königsberger Universität. Etwa 60 Objekte konnten so identifiziert werden – es musste sich um seit Langem verliehenes Material handeln. Leihunterlagen existierten aus der Zeit der Sammlung in Königsberg nicht mehr.

Mit großem Einsatz und zeitintensiver Suche, insbesondere von Dr. Ricardo Perez-de la Fuente, konnten die Experten des Museums in den USA knapp 400 Bernsteine identifizieren, die zur Königsberger Sammlung gehören.

Dabei handelte es sich zu einem nicht unerheblichen Teil um Originalmaterial zu zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen, darunter allein 45 Typus-Exemplare. Beide Seiten waren sich von Anfang an einig, dass die wertvollen Objekte in die ursprüngliche Sammlung zurückgebracht werden sollen, was Perez-de la Fuente persönlich übernahm.

Diese Objekte werden nun in Göttingen inventarisiert und wissenschaftlich ausgewertet. „Einige der teils spektakulären und äußerst raren Stücke“, so der Leiter des Geowissenschaftlichen Museums, Prof. Dr. Joachim Reitner, und Gehler, „werden auch bald der Öffentlichkeit zugänglich sein: im Rahmen eines geplanten Dauerausstellungsbereichs zum Themenkomplex Bernstein in unserem Museum, dessen Eröffnung für Anfang 2018 geplant ist.“

Mit über 100.000 Objekten war die Bernsteinsammlung der Albertus-Universität Königsberg die einst größte wissenschaftliche Sammlung ihrer Art. Im Spätherbst 1944 wurden die bedeutendsten Bestände dieser Sammlung mit anderen wertvollen Kulturgütern Königsberger Sammlungen nach Westen transportiert.

Die Reise endete vorerst im ehemaligen Salzbergwerk Wittekind-Hildasglück im niedersächsischen Volpriehausen in der Nähe der Partneruniversität Göttingen. Im September 1945 zerstörte eine Explosion in der Schachtanlage, die auch als Munitionslager genutzt worden war, wesentliche Teile der dorthin verlagerten Bestände der Universitäten Königsberg und Göttingen.

Kurz vor der Explosion wurden jedoch zwei Holzkoffer mit den wertvollen Bernsteinen gesichert. Nach Zwischenstationen in Kunstgutlagern der Britischen Besatzungszone gelangte der gerettete Teil der Bernsteinsammlung mit knapp 20.000 Objekten an die Universität Göttingen, wo sie treuhänderisch für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwahrt wird.




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