Gebrauch von Steinwerkzeugen: Schimpansen leben vor der Steinzeit

(20.07.2021) Forschungsteam der Universität Tübingen testet, ob Menschenaffen die Fähigkeit besitzen, scharfkantige Werkzeuge herzustellen

Anders als frühe Menschenarten scheinen Schimpansen nicht in der Lage zu sein, spontan scharfe Steinwerkzeuge herzustellen und zu nutzen, auch wenn ihnen dafür alle Materialien zur Verfügung stehen und ein Anreiz besteht.

Das ergab eine Studie an insgesamt elf Schimpansen in einem Zoo im norwegischen Kristansand und dem Chimfunshi Wildlife Orphanage, einer Schutzstation in Sambia.


Schimpansen benutzen verschiedene Werkzeuge, scharfe Steinwerkzeuge gehören jedoch nicht dazu.

Durchgeführt wurde sie von Dr. Elisa Bandini und Dr. Alba Motes-Rodrigo von der Universität Tübingen im Rahmen des von Dr. Claudio Tennie geleiteten Projekts STONECULT, das vom Euro-päischen Forschungsrat finanziert wird.

Die Studie, die Tennie gemeinsam mit Dr. Shannon McPherron vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig leitete, wurde in der ERC-Fachzeitschrift Open Research Europe veröffentlicht.

„Scharfkantige Steinwerkzeuge, die von frühen Menschen hergestellt wurden, sind mindestens aus den vergangenen 2,6 Millionen Jahren bekannt – zu Beginn der Steinzeit“, berichtet Elisa Bandini. Das Forschungsteam wollte wissen, ob Schimpansen als einer der engsten lebenden Verwandten heutiger Menschen, die Fähigkeit zur spontanen Herstellung solcher Werkzeuge besitzen.

„Das war bisher ausschließlich an sogenannten ‚kultivierten‘ Menschenaffen getestet worden, also Affen die trainiert oder vom Menschen aufgezogen wurden, und denen die Herstellungstechniken von Men-schen gezeigt wurden“, sagt Alba Motes-Rodrigo.

Eine Entwicklung der menschlichen Evolution

In den neuen Versuchen erhielten untrainierte Schimpansen zwei verschiedene verschlossene Behälter, die – sichtbar durch eine Plexiglasscheibe – Futter enthielten. An dieses konnten sie nur ge-langen, wenn sie scharfe Steinwerkzeuge herstellten. Sie erhielten einen sogenannten Steinkern und Hammersteine, um selbst scharfkantige Steine von diesem Kern abzuschlagen.

Anders als in allen bisherigen Studien erhielten die Menschenaffen in der Studie keine Gelegenheit, sich die Herstellung solcher Werkzeuge abzuschauen.

„Obwohl die Schimpansen vermutlich verstanden hatten, dass die Behälter Futter enthielten und auch klar motiviert waren, an diese Belohnung zu kommen, machte keines der Tiere im Test auch nur den Versuch, scharfe Steinwerkzeuge anzufertigen“, stellt Claudio Tennie fest. Das Team schließt daraus, dass Schimpansen diese spontane Fähigkeit nicht besitzen.

„Wahrscheinlich können sie dies nur nach intensivem Kontakt mit Menschen und/oder durch Nach-ahmen erlernen“, sagt Tennie, und fügt hinzu „sie befinden sich also, was diese Fähigkeiten betrifft, noch vor der Steinzeit.“

Die Abstammungslinien von Menschen und Menschenaffen trennten sich vor rund sieben Millionen Jahren. Die Fähigkeit, scharfe Steinwerkzeuge herzustellen, habe sich wohl erst lange nach dieser Trennung in der menschlichen Linie entwickelt, sagt das Forschungsteam. Dafür seien bestimmte Fähigkeiten nötig, die sich erst in der Evolution unserer menschlichen Vorfahren herausbildeten.

Publikation

Elisa Bandini, Alba Motes-Rodrigo, William Archer, Tanya Minchin, Helene Axelsen, Raquel Adriana Hernandez-Aguilar, Shannon P. McPherron, Claudio Tennie: Naïve, unenculturated chimpanzees fail to make and use flaked stone tools. Open Research Europe 2021,


Weitere Meldungen

Thibaud Gruber; Bildquelle: SNF

Thibaud Gruber studiert das Verhalten von Affen in ihrer natürlichen Umgebung in Uganda

Woher kommt der Mensch und was macht ihn einzigartig? Diese Fragen versucht Thibaud Gruber zu beantworten. Der Professor an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf fokussiert dafür aber nicht auf Menschen, sondern auf Schimpansen.
Weiterlesen

Schimpansen produzieren verschiedene Laute und kombinieren sie unter bestimmten sozialen Umständen zu längeren Sequenzen; Bildquelle: Adrian Soldati

Schimpansen kombinieren Rufe zu neuen Bedeutungen

Ähnlich wie Menschen hängen auch Schimpansen einzelne Rufe zu grösseren, kommunikativ sinnvollen Strukturen zusammen. Laut UZH-Forschenden könnte diese Fähigkeit somit evolutionär älter sein als Sprache selbst
Weiterlesen

Beispiele von Schimpansen; Bildquelle: Tomos Proffitt

Steinwerkzeugvielfalt bei Schimpansen

Schimpansen in Westafrika benutzen Steinwerkzeuge und verfügen über eine ausgeprägte und wiedererkennbare materielle Kultur
Weiterlesen

Hoch oben in den Baumkronen jagt eine Gruppe Schimpansen eine kleinere Primatenart: einen Stummelaffen.; Bildquelle: Kibale Chimpanzee Project

Kommunikation erleichtert den Schimpansen die Jagd

Ähnlich wie Menschen nutzen Schimpansen Kommunikation, um ihr kooperatives Verhalten zu koordinieren – etwa bei der Jagd
Weiterlesen

Schimpansen lernten schnell; Bildquelle: MPI für evolutionäre Anthropologie

Schimpansen finden sich in virtuellen Umgebungen zurecht

Mit Hilfe von Touchscreens durchquerten sechs Schimpansen aus dem Zoo Leipzig eine virtuelle Landschaft um zu einem weit entfernten Baum zu gelangen, unter dem sie verschiedene Früchte fanden
Weiterlesen

Schimpansen Asanti und Akuna beim Kommunizieren mithilfe von Rufen; Bildquelle: Liran Samuni, Taï Chimpanzee Project

Schimpansen kombinieren Rufe zu einer Vielzahl von Lautsequenzen

Verglichen mit dem menschlichen Sprachgebrauch erscheint Tierkommunikation einfach. Unklar blieb bisher, wie sich unsere Sprache aus einem so einfachen System entwickelt haben könnte
Weiterlesen

Schimpanse beim Knacken einer Nuss; Bildquelle: Kathelijne Koops, UZH

Werkzeuggebrauch bei Schimpansen ist kulturell erlernt

Werden Schimpansen Nüsse und Steine vorgesetzt, wissen sie damit von sich aus nicht viel anzufangen
Weiterlesen

Schimpansen, die in jungen Jahren ihre Mutter verlieren, überwinden das Trauma nach ein paar Jahren und ihr Stresshormonspiegel normalisiert sich wieder.; Bildquelle: Cédric Girard-Buttoz / Taï Chimpanzee Project

Schimpansen-Waisen erholen sich von dem Trauma, die Mutter zu verlieren

Chronischer Stress könnte ein Grund dafür sein, warum manche Tierwaisen eine kürzere Lebenserwartung haben und weniger Nachkommen bekommen
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen