Ähnliche Strukturen zur Gesichtserkennung im Gehirn von Affen und Menschen

(28.04.2011) Ein ausgedehntes Netzwerk an Hirnregionen spricht bei Makaken auf Bilder von Gesichtern an

Menschen steuern ihr soziales Verhalten über die Erkennung der Gesichter ihrer Mitmenschen, die Deutung ihres Gesichtsausdrucks und der Blickrichtung – bei Rhesusaffen könnte das einer neuen Studie zufolge ähnlich sein.

Bisher waren viele Wissenschaftler davon ausgegangen, dass die Fähigkeiten zur Gesichtserkennung bei Affen deutlich anders ausgebildet sind. Doch nun haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) auch im Gehirn von Rhesusaffen ein ganzes Netzwerk an Regionen ausgemacht, das an der Gesichtserkennung und Verarbeitung von Gesichtsinformationen beteiligt ist.

Für viele beim Menschen bekannte Hirnregionen zur Gesichtserkennung fand sich bei der Überblicksstudie ein mögliches Pendant im Affenhirn. An Rhesusaffen könnten daher möglicherweise auch Krankheiten des Menschen wie Autismus und Gesichtsblindheit (Prosopagnosie) erforscht werden.

Schon früh im Leben lernen Kinder, die Gesichter ihrer Eltern und Mitmenschen zu unterscheiden. Außerdem muss das Mienenspiel vom heiteren bis traurigen Gesichtsausdruck und die Blickrichtung häufig in Sekundenschnelle gedeutet werden.

An diesen komplexen Aufgaben sind beim Menschen zahlreiche Bereiche im Gehirn, vor allem an der oberen Schläfenfurche sowie im unteren Schläfenlappen, beteiligt. Dort liegt auch der Hauptbereich der menschlichen Gesichtserkennung, das sogenannte fusiforme Gesichtsareal (FFA; fusiform face area).

Von Rhesusaffen war aus früheren Studien bisher nur bekannt, dass ebenfalls Nervenzellen an der oberen Schläfenfurche bei der Gesichtserkennung aktiv werden. Es schien möglich, dass große Unterschiede bei der Ausbildung der Gesichtserkennung zwischen verschiedenen Primaten bestehen. „Doch leben Rhesusaffen in großen Gruppen und haben ein großes soziales Verhaltensspektrum.

Da das Sehen ihr ausgeprägtester Sinn ist, hatte ich erwartet, dass auch bei ihnen der Gesichtserkennung umfassende Hirnstrukturen zugrunde liegen“, berichtet Jozien Goense vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik.

Zusammen mit ihren Kollegen vom gleichen Institut, Shih-Pi Ku und Nikos Logothetis, dem Direktor der Abteilung Physiologie kognitiver Prozesse, sowie Andreas Tolias, der nun in Houston dem Baylor College of Medicine, dem Michael DeBakey Veterans Affairs Medical Center und der Rice University angehört, hat Jozien Goense daher im Überblick das ganze Netzwerk zur Verarbeitung von Gesichtsinformationen bei Makaken untersucht.

Mit der funktionellen Magnetresonanztomografie können jeweils die zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiven Hirnbereiche sichtbar gemacht werden. Aus Vorversuchen war bekannt, dass gerade im Bereich des unteren Schläfenlappens Messungen häufig ungenaue oder schwer zu interpretierende Bilder liefern. Jozien Goense und ihre Kollegen entwickelten daher ein verbessertes Messprotokoll.

Bei den Experimenten zeigten sie den Affen Bilder von unbekannten Artgenossen mit verschiedenen Gesichtsausdrücken und Blickrichtungen. Dadurch sollten sowohl die Hirnbereiche aktiviert werden, die auf die Erkennung von Gesichtern ansprechen als auch die, die auf soziale Stimuli reagieren.

Als Kontrolle wurden den Affengesichtern Bilder von Früchten, Gebäuden und den abstrakten Mustern von Fraktalen gegenübergestellt. Die Wissenschaftler registrierten gesichtsselektive Bereiche an der oberen Schläfenfurche, im präfrontalen Kortex und im Mandelkern, die schon aus früheren fMRT-Studien an Makaken bekannt waren.

Zusätzlich zeigten jedoch auch mehrere Stellen im unteren Schläfenlappen, im Hippocampus, im entorhinalen Kortex sowie im mittleren Schläfenlappen Aktivität beim Betrachten von Gesichtern. Die Experimente wurden mit anästhetisierten Affen wiederholt. Damit konnten zum einen die Effekte von Bewegungen der Tiere auf die Messungen ausgeschaltet werden, zum anderen ließ sich erkennen, ob die Gesichtserkennung an den wachen Zustand gekoppelt ist.

Es ergaben sich keine großen Unterschiede: Der größte Teil des Nervenzellnetzwerks zur Gesichtserkennung hängt nicht von Wachheit ab.

Jozien Goense sieht sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass bei früheren Versuchen vor allem technische Schwierigkeiten dazu führten, dass im Affengehirn nur wenige gesichtsselektive Bereiche identifiziert werden konnten: „Aus unseren Ergebnissen wissen wir, dass das gesichtsverarbeitende Netzwerk im Makakengehirn deutlich größer ist als früher berichtet.

Wir haben mehrere bisher unbekannte Bereiche im unteren Schläfenlappen entdeckt, die auf das Betrachten von Gesichtern ansprechen“, sagt die Wissenschaftlerin. Dabei ist auch ein Bereich, der möglicherweise homolog zum fusiformen Gesichtsareal des Menschen ist.

Inwiefern sich die Ähnlichkeiten der Hirnstrukturen bei Affen und Menschen für die Erforschung von Krankheiten nutzen lassen, muss weiter geprüft werden. Bei der Prosopagnosie des Menschen ist spezifisch die Gesichtserkennung gestört.

Die Betroffenen können sich die Gesichter ihrer Mitmenschen nicht merken und allein an den Gesichtern auch ihre nahen Angehörigen nicht wiedererkennen, obwohl sie keine Probleme haben, Objekte oder Tiere selbst anhand von Details zu unterscheiden.



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