Langfristige Vorhersage von Artenhäufigkeit in Ökosystemen ist unmöglich

(14.02.2008) Die traditionelle Idee des Gleichgewichts in der Natur wird durch eine Studie, die in der aktuellen Ausgabe von Nature (Band 451, S. 822) erschien, in Frage gestellt.

Basierend auf einem über mehrere Jahre laufenden Laborexperiment zeigten holländische Wissenschaftler, dass Arten in einem marinen Nahrungsnetz selbst unter konstanten Bedingungen chaotischen Schwankungen unterworfen sind. Dies macht eine langfristige Vorhersage der Artenhäufigkeit unmöglich.

Zu den Autoren der Arbeit gehört auch Dr. Klaus D. Jöhnk, seit kurzem beim Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Er sagt: "Diese Arbeit ist ein Durchbruch beim Nachweis chaotischen Verhaltens in Nahrungsnetzen."

Theoretische Ökologen haben bereits in den 1970er Jahren darauf hingewiesen, dass Populationen von Pflanzen und Tieren auch ohne äußere Einflüsse in einer unvorhersehbaren Art und Weise fluktuieren können. Diese Vorhersagen, abgeleitet aus der Chaos-Theorie, zogen heftige Debatten nach sich.

Nur wenige Wissenschaftler glaubten, dass Arten in natürlichen Ökosystemen solche chaotischen Schwankungen aufweisen würden. Die allgemeine Auffassung war, dass Fluktuationen nur durch eine Variation der äußeren Bedingungen zustande kommen, etwa durch Klimaveränderungen oder anderen Störungen des natürlichen Gleichgewichts.

Diese klassische Perspektive wurde nun durch neue Forschungsergebnisse von Elisa Benincà und Jef Huisman von der Universität von Amsterdam, Niederlande, in Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Forschungseinrichtungen in den Niederlanden, Deutschland und den Vereinigten Staaten radikal verändert.

Der Kern ihrer Arbeit besteht aus einem Laborexperiment mit einer aus Ostseewasser isolierten Planktongemeinschaft. Mehr als acht Jahre lang hielt der Rostocker Biologe Reinhard Heerkloss die Planktongemeinschaften unter konstanten Licht- und Temperaturbedingungen und maß zweimal in der Woche die Entwicklung der verschiedenen Planktonarten. Zu seiner großen Überraschung näherten sich die Abundanzen (Häufigkeiten der Organismen) der Planktonarten keinem Gleichgewichtszustand sondern fluktuierten ungewöhnlich stark.

Eine statistische Analyse der Zeitreihen zeigte, dass diese Fluktuationen nicht etwa stochastischer Natur waren, sondern durch das dynamische Verhalten des Nahrungsnetzes selbst erzeugt wurden. Mit fortgeschrittenen Techniken der nichtlinearen Zeitreihenanalyse konnten die Wissenschaftler zeigen, dass es sich um deterministisch chaotisches Verhalten handelt.

Laut Elisa Benincà haben diese Ergebnisse weitreichende Konsequenzen: "Unsere Resultate zeigen, dass die Planktonabundanz in komplexen Nahrungsnetzen langfristig nicht vorhersehbar ist.

Bestenfalls kann man eine Schwankungsbreite angeben. Bisher gingen wir davon aus, dass ein detaillierteres Verständnis der relevanten Prozesse es uns erlauben würde immer bessere Vorhersagen der Planktonabundanz zu erhalten, etwa auch im Hinblick auf die Reaktion auf externe Störungen wie einem Klimawandel. Wir wissen nun, dass dies nur eingeschränkt möglich ist."

Theoretische Studien hatten bereits aufgezeigt, dass chaotisches Verhalten in Nahrungsnetzen möglich ist. Ein experimenteller Nachweis solchen Verhaltens konnte aber auf Grund unzureichender Langzeitdaten bis jetzt nicht durchgeführt werden.

Über Klaus D. Jöhnk

Während einer vierjährigen Postdoc Anstellung an der Universität Amsterdam hat Dr. Klaus D. Jöhnk diese Studie mit initiiert und an der Auswertung der Langzeitdaten mit modernen Verfahren der nichtlinearen Zeitreihenanalyse gearbeitet.

Seit August 2007 ist er Projektmitarbeiter in der Arbeitsgruppe "Molekulare Ökologie" von Dr. C. Wiedner an der Abteilung Limnologie geschichteter Seen des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Neuglobsow.

Seine Hauptaufgabe ist die Entwicklung mathematischer Modelle zur Prozessanalyse, Simulation und Prognose des Auftretens nostocaler Cyanobakterien in Seen.

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