Tierschutzforschungspreis 2019 für IfADo-Forschende
Wiebke Albrecht vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) erhält den Tierschutzforschungspreis 2019 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Mit einem internationalen Team hat Albrecht Methoden entwickelt, um die Leistungsfähigkeit von Lebertoxizitäts-Testsystemen in der Kulturschale zu beurteilen und anschließend zu verbessern. Die optimierten Testsysteme sollen es langfristig ermöglichen, leberschädigende Wirkungen von Substanzen vorherzusagen und sichere Aufnahmemengen zu definieren – ohne dass dafür Tierversuche durchgeführt werden müssen. Der Preis wird am 23. Oktober in Berlin verliehen.
Medikamente können giftig für die Leber sein. Diese Leberschäden sind der häufigste Grund dafür, dass Studien mit Wirkstoffen abgebrochen und bereits zugelassene Medikamente vom Markt genommen oder angepasst werden müssen. Immerhin sind lebertoxische Effekte von Medikamenten die häufigste Ursache für ein akutes Leberversagen in Industrienationen.
Zwar müssen Medikamente in zahlreichen Tierversuchen getestet werden – doch das Risiko von Leberschäden für den Menschen wird nicht immer sicher erkannt. Testsysteme aus menschlichen Leberzellen in der Kulturschale stellen eine Alternative zu etlichen Tierversuchen in der toxikologischen Substanzbewertung dar.
Allerdings können Forschende mit den bislang entwickelten Zellsystemen nicht in allen Fällen treffsicher bestimmen, ob eine Substanz für den Menschen lebertoxisch oder harmlos ist. Bisher kann zudem in der Kulturschale nur gemessen werden, welche Konzentrationen einer Substanz die Zellen schädigt. Wissen möchte man aber, welche Menge ein Mensch gefahrlos zu sich nehmen kann, beziehungsweise ab welcher Dosis giftige Effekte drohen.
Am IfADo forschen Toxikologinnen und Toxikologen seit Jahren an Alternativmethoden zu Tierversuchen, wie einem sicheren Vorhersagesystem für Lebertoxizität in der Kulturschale. Zusammen mit einem internationalen Forschungsteam hat IfADo-Doktorandin Wiebke Albrecht nun Methoden entwickelt, mit denen beurteilt werden kann, wie gut ein solches System die Situation im menschlichen Körper widerspiegelt.
Statistische Methoden liefern Anhaltspunkte für bessere Testsysteme
Diese Art der Qualitätskontrolle ist gefragt. Denn bei der Entwicklung von Testsystemen in der Kulturschale können viele unterschiedliche, experimentelle Daten einbezogen werden, zum Beispiel ob wichtige Funktionen gestört sind, wie die Produktion von Proteinen. Bislang konnte aber nicht zuverlässig beurteilt werden, welche Daten am besten geeignet sind, um die Situation im Organismus abzubilden.
Um das zu ändern, werden in der aktuellen Forschungsarbeit geeignete Maßzahlen vorgeschlagen: Mithilfe mathematischer Methoden kann berechnet werden, welche der zahlreichen Daten die beste Unterscheidung zwischen lebertoxischen und nicht-toxischen Substanzen ermöglichen.
Da es aber nicht nur darauf ankommt, ob eine Substanz der Leber schadet, sondern ab welcher Konzentration lebertoxische Effekte wahrscheinlich sind, wurde eine zweite Maßzahl entwickelt. Mit ihr kann beurteilt werden, wie gut die toxische Blutkonzentration schon in der Kulturschale abgeschätzt werden kann.
Die Forschenden haben zunächst 28 Trainingssubstanzen, hauptsächlich Medikamente, auf im Labor kultivierten menschlichen Leberzellen untersucht. Für jede der Substanzen war bekannt, ob sie für den Menschen lebertoxisch ist oder nicht, sowie bei welcher Dosis das Risiko einer Leberschädigung besteht.
„Mithilfe der Maßzahlen zeigte sich zum Beispiel, dass eine Inkubationszeit der Substanzen von 48 Stunden verlässlichere Ergebnisse erzielte als 24 Stunden oder mehrere Tage. Wir konnten auch nachweisen, dass wir diejenige Konzentration als die niedrigste, in der Zellkultur giftige Konzentration einbeziehen sollten, bei der zehn Prozent der Zellen gestorben sind. In anderen Studien liest man Werte von bis zu 50 Prozent“, erklärt Wiebke Albrecht.
Mit diesem Wissen haben die Forschenden das Testsystem optimiert. Alle lebertoxischen Substanzen wurden anschließend richtig erkannt. Bei zwei nicht toxischen Substanzen gab das System hingegen falschen Alarm.
„Nach dieser Optimierungsphase haben wir acht weitere Stoffe getestet, alle wurden richtig eingestuft“, so Albrecht. Um herauszufinden, wie gut das System funktioniert, untersucht das Team aktuell rund weitere 200 Substanzen.
Mit optimierten Testsystem zur sicheren Dosis für tägliche Aufnahme
Mit den neuen Methoden konnten die Forschenden zudem für einen Lebensmittelzusatzstoff bestimmen, welche Menge der Mensch täglich ohne erkennbares Gesundheitsrisiko aufnehmen kann.
Ein Computerprogramm half aus der niedrigsten, in der Zellkultur toxischen Konzentration sowohl die Dosis, die oral aufgenommen beim Menschen Schaden anrichten wird, als auch die für den Menschen verträgliche Aufnahmemenge zu berechnen. Dabei berücksichtigte das Programm, wie der menschliche Organismus eine Substanz verarbeitet.
„Wir sind mit unserem Testsystem auf ähnliche Aufnahmemengen gekommen, die bisher nur auf Basis von aufwendigen Fütterungsstudien an Tieren gewonnen werden“, sagt Wiebke Albrecht. „Allerdings müssten wir viele weitere Substanzen untersuchen, um zu verstehen, wie exakt unsere Methoden sind.“
Das langfristige Ziel ihrer Grundlagenforschung behalten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei immer im Blick. „Mit den von uns entwickelten Methoden möchten wir dazu beitragen, die Zahl der Tierversuche in der toxikologischen Substanzbewertung zu reduzieren.
Wiebke Albrecht hat wirklich eine großartige Idee gehabt und hart gearbeitet, diese umzusetzen. Der Tierschutzforschungspreis ist sicher Ansporn, diesen Weg weiterzugehen“, sagt Prof. Jan Hengstler, Leiter der IfADo-Forschungsabteilung Toxikologie.
Ministerin Klöckner lobt „zukunftsweisende Forschung“
Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft: „Mein Ziel ist, Tierversuche möglichst schnell durch Alternativmethoden zu ersetzen. Unser Ministerium unterstützt deshalb eine Vielzahl von Projekten und Aktivitäten in diesem Bereich – dazu zählt vor allem auch der Tierschutzforschungspreis, den wir jährlich vergeben.
Wir zeichnen herausragende Forschung aus und heben gleichzeitig hervor, dass Tierversuche auf das absolut notwendige Minimum beschränkt werden müssen. Dazu leistet die Forschung der diesjährigen Preisträgerin Wiebke Albrecht einen wichtigen Beitrag. Mit ihrer zukunftsweisenden Forschung hat sie überzeugt. Das von ihr entwickelte Zellkulturverfahren, mit dem geprüft wird, ob Medikamente leberschädlich sind, soll dazu beitragen, Tierversuche zu ersetzen. Ganz herzlichen Glückwunsch für diesen bedeutenden Forschungserfolg.“
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