Weitverbreitete Arten auf dem Vormarsch

(21.03.2023) Das menschliche Handeln treibt den Wandel der Biodiversität und Veränderungen in der Zusammensetzung der Arten rapide voran.

Ein Forschungsteam konnte nun zeigen, dass weiterverbreitete Arten eher von anthropogenen Veränderungen profitieren und sich weiter ausbreiten, wohingegen viele Arten mit einem kleinen Verbreitungsgebiet sich noch weiter zurückziehen.

Die Ergebnisse, die im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht wurden, basieren auf den Daten aus über 200 Studien und beweisen, dass Schutzgebiete einige Auswirkungen des Biodiversitätswandels abmildern und den systematischen Rückgang wenig verbreiteter Arten ausbremsen können.


Der Regenbogen-Brandungsbarsch (Hypsurus caryi) kommt vor allem in den Seetangwäldern vor der Küste Kaliforniens vor, wird jedoch immer seltener gesichtet.

Jede lebende Art auf der Erde verfügt über ein einzigartiges geographisches Verbreitungsgebiet: einige Arten kommen weltweit an vielen Orten vor, andere sind hingegen nur in wenigen ausgewählten Lebensräumen zu finden.

Doch hat diese Verbreitung auch einen Einfluss darauf, wie Arten auf menschliche Einflüsse und Veränderungen reagieren – und verändert sich dadurch mit der Zeit auch die Zahl der Orte, an denen sie zu finden sind?

Ein Team unter Leitung von Forschenden von iDiv und der MLU hat genau diese Verbindung zwischen der Größe des Ausbreitungsgebietes und dem regionalen Vorkommen einer Art untersucht.

Dafür nutzte es eine umfangreiche Datensammlung aus 238 Studien, in denen die Zusammensetzung von Tier- und Pflanzenarten an vielen verschiedenen Orten über die Dauer von 10 bis 90 Jahren untersucht worden war. Mithilfe dieser Zeitreihe konnten die Forschenden feststellen, welche Arten an immer mehr Orten vorkamen, welche an immer weniger Orten zu finden waren und bei welchen es keine Veränderung gab.

Anschließend stellten sie diese Trends und die Größe des Verbreitungsgebietes der jeweiligen Arten gegenüber, um eine mögliche Verbindung herzustellen. Um die Verbreitungsgebiete der fast 19.000 Arten aus den Zeitreihen zu bestimmen, griffen die Forschenden auf die Global Biodiversity Information Facility (GBIF) zurück, die Daten zum Vorkommen von Arten auf der ganzen Welt enthält, darunter auch Daten, die mithilfe beliebter Smartphone-Apps wie iNaturalist oder eBird gesammelt worden waren.

Arten mit großem Verbreitungsgebiet kommen an immer mehr Orten vor

Die Forschenden stellten fest, dass über alle Studien hinweg im Durchschnitt Arten mit einem großen Verbreitungsgebiet mit der Zeit an immer mehr Orten vorkamen.

Dagegen nahmen die Orte, an denen Arten mit kleinerem Verbreitungsgebiet zu finden waren, immer mehr ab. So zeigte beispielsweise eine Studie aus Nordaustralien, dass Arten, die nur in einem kleinen Teil der Region heimisch sind, wie etwa die Rote Schirmpalme (Livistona mariae), seit den ersten Zählungen in den 1990er Jahren immer mehr zurückgedrängt wurden, wohingegen weiterverbreitete Arten wie die Ostindische Pfeilwurz (Tacca leontopetaloides) an immer mehr Orten zu finden sind. Ebenso wurden Fische wie der Regenbogen-Brandungsbarsch (Hypsurus caryi), der vor allem in Seetangwäldern vor der Küste Kaliforniens vorkommt, seit Beginn des Monitorings im Jahr 2000 an immer weniger Orten gesichtet, bei weiterverbreiteten Arten wie Scropaenichthys marmoratus war das Gegenteil der Fall.

„Das könnte daran liegen, dass weiterverbreitete Arten über eine größere Nischenbreite verfügen, sie können also in vielen verschiedenen Lebensräumen leben.

Diese Arten können sich schneller ausbreiten als weniger verbreitete Arten, wodurch sie auch angesichts des globalen Wandels mit höherer Wahrscheinlichkeit überleben oder sich sogar vermehren“, sagt Erstautor Dr. Wubing Xu, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei iDiv und an der MLU. Dieser Zusammenhang war in den Meeren sogar stärker als an Land oder in Frischwassergebieten.

„Das liegt möglicherweise daran, dass Meeresarten oft anfälliger für Umweltveränderungen wie die globale Erwärmung sind“, so Wubing Xu.

Diese Ergebnisse lösen auch frühere Widersprüche auf. Professor Anne Magurran und Professor Maria Dornelas von der Universtät von St. Andrews waren nicht nur an der neuen Studie beteiligt, sondern leiteten auch eine frühere Studie, die Zeitreihen zu Biodiversitätsdaten weltweit in einer Datenbank zusammenstellte, die sie BioTIME nannten. Die neue Studie fügte noch viele weitere Datensätze zu dieser Sammlung hinzu.

„Als wir anfingen, mit der ersten Version von BioTIME zu arbeiten, ließen sich noch keine eindeutigen generellen Trends zum lokalen Artenreichtum feststellen. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Welt nicht verändert und dass der Mensch keinen dramatischen Einfluss auf die Biodiversität hat“, so Dornelas.

„Wir verzeichneten grundlegende Veränderungen bei der Zusammensetzung der Arten. Das Tolle an unseren neuen Ergebnissen ist, dass wir zeigen konnten, dass diese Veränderungen in Zusammenhangen mit bestimmten Merkmalen der Gewinner- und Verliererarten stehen.

Das zeigt, dass wir verschiedene Messgrößen auf verschiedenen Skalen untersuchen müssen, um den Biodiversitätswandel zu verstehen.“

Schutzgebiete können die Folgen des Biodiversitätswandels abmildern

Heute stehen rund 17 % der Fläche an Land und von inländischen Gewässern in irgendeiner Form unter Schutz, bei den Küsten- und Meeresgebieten sind es etwa 8 %. Internationale Übereinkommen der UN-Biodiversitätskonferenz sehen eine deutliche Ausdehnung dieser Gebiete in den nächsten 10 Jahren vor.

Ein Vergleich der Trends innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten zeigte den Forschenden, dass die Veränderungen beim Vorkommen der Arten in Schutzgebieten an Land weniger ausgeprägt waren.

So konnten sich Vogelarten mit einem relativ kleinen Verbreitungsgebiet wie die Zwergtrappe (Tetrax tetrax) in einem Schutzgebiet in Portugal mit der Zeit sogar weiter ausbreiten, wohingegen sie in einem angrenzenden intensiv bewirtschafteten Gebiet abnahmen.

„Indem man den anthropogenen Druck mithilfe von Schutzgebieten reduziert, kann man auch den Rückgang bei weniger verbreiteten Arten abschwächen, den wir häufig beobachten“, sagt Letztautor Prof. Jonathan Chase von iDiv und der MLU.

„Darum ist es zwingend notwendig, dass die internationale Gemeinschaft ihr Versprechen auch durchsetzt, die Zahl der geschützten und renaturierten Flächen auf der ganzen Welt zu erhöhen.“



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