Neuer Wirkstoff gegen Parasiten

(18.10.2021) Forschende am Paul Scherrer Institut PSI haben eine chemische Verbindung identifiziert, die sich vermutlich als Wirkstoff gegen gleich mehrere einzellige Parasiten eignet.

Dazu gehören die Erreger der Malaria sowie der Toxoplasmose. Angriffspunkt der vielversprechenden Substanz ist das Protein Tubulin: Es hilft Zellen dabei, sich zu teilen, und ist damit auch für die Vermehrung der Parasiten unentbehrlich. Die Studie erscheint heute im Journal EMBO Molecular Medicine.


PSI-Forschende Aswani Sharma und Natacha Gaillard haben einen Wirkstoff gegen Parasiten gefunden.

Die Idee dahinter stammt aus der Tumorforschung: Indem man in Krebszellen den Eiweissstoff Tubulin blockiert, hindert man die Zellen daran, sich erfolgreich zu teilen – und damit auch daran, sich zu vermehren. Dieses Prinzip setzen Ärzte und Ärztinnen seit Langem erfolgreich bei einer Chemotherapie ein und verabreichen Patienten tubulinhemmende Substanzen.

Die PSI-Forschenden Natacha Gaillard und Ashwani Sharma vom Labor für Biomolekulare Forschung weiteten das Konzept jetzt auf einzellige Parasiten aus, darunter den Erreger der Malaria (Plasmodium sp.) und der Toxoplasmose (Toxoplasma gondii).

Denn auch deren Zellen brauchen Tubulin für die Zellteilung. «Wenn dieses Protein nicht mehr so arbeitet, wie es soll, trifft das den Parasiten hart», sagt Forscher Ashwani Sharma. «Daher ist Tubulin ein guter Angriffspunkt für Medikamente. In der Tumorforschung ist das Protein dahingehend schon sehr lange bekannt, in der Parasitologie aber hat es bisher kaum Aufmerksamkeit bekommen.»

Die Erreger der Malaria und der Toxoplasmose zählen zu den Apicomplexa, einer Gruppe von einzelligen, zu den Eukaryonten zählenden Parasiten. Ihre Zellen besitzen einen echten Zellkern und sie durchlaufen sowohl geschlechtliche als auch ungeschlechtliche Phasen der Fortpflanzung. Apicomplexa nutzen den Menschen oder Tiere als Wirt oder Zwischenwirt. An den von ihnen hervorgerufenen Infektionskrankheiten erkranken jedes Jahr viele Millionen Menschen.

Auf der Suche nach Angriffspunkten

Alle Eukaryonten, von der Amöbe bis zum Menschen, stellen das Protein Tubulin her. In Gestalt von langen Filamenten durchspannt es als eine Art Gerüst die Zellen. Während der Zellteilung bildet sich daraus der sogenannte Spindelapparat, der die Chromosomen auseinanderzieht und sie so auf zwei Tochterzellen verteilt.

Von Lebewesen zu Lebewesen unterscheidet sich das Protein an einigen wenigen, aber unter Umständen wichtigen Stellen. Um Wirkstoffe gegen das spezifische Protein eukaryontischer einzelliger Parasiten zu finden und es zu blockieren, muss die genaue Struktur des Proteins bekannt sein.

Die PSI-Forschenden isolierten daher Tubulin aus den Zellen des Wimperntierchens Tetrahymena thermophila. «Sein Protein ist quasi identisch zu dem in Apicomplexa», erklärt Wissenschaftlerin Natacha Gaillard. «Und das erspart es uns, mit Malariaerregern im Labor arbeiten zu müssen.»

Mithilfe der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS und der Elektronenmikroskopie entschlüsselten die Forschenden die molekulare Struktur des Proteins. Dann suchten sie eine chemische Verbindung, die das Protein hemmen kann. Eine Substanz-Datenbank lieferte fünf Kandidaten als potenzielle Wirkstoffe – im Labor bestätigte sich eine chemische Verbindung als wirksam.

Die Forschenden tauften sie «Parabulin». «Sie hindert Tubulin daran, lange stabile Proteinfilamente auszubilden. So blockiert sie auch eine erfolgreiche Zellteilung», sagt Gaillard. Parabulin blockiert das Protein genau an der Stelle, an der im menschlichen Tubulin analog die Krebsmedikamente andocken.

Hoffnung auf zukünftiges Medikament

Die Kooperationspartner des PSI von der University of California im US-amerikanischen Irvine testeten die Verbindung an Toxoplasma gondii in menschlichen Zellen. Tatsächlich konnte sich der Parasit so gut wie nicht mehr vermehren. Auf die menschlichen Zellen hingegen hatte Parabulin quasi keine Wirkung. «Das ist ein gutes Zeichen: Die Substanz wirkt anscheinend ausschliesslich auf das Tubulin des Parasiten – eine Grundvoraussetzung, um es als Medikament gegen Infektionskrankheiten einsetzen zu können», erklärt Sharma.

Die Vermutung liegt nahe, dass Parabulin nicht nur gegen Toxoplasma gondii wirkt, sondern gegen alle Vertreter der Apicomplexa, inklusive dem Erreger der Malaria. Das PSI hat jetzt ein Patent eingereicht und plant, Parabulin weiter im Labor zu testen, um es später mithilfe der Pharmaindustrie zu einem Medikament weiterzuentwickeln.

Publikation:

Inhibiting parasite proliferation using a rationally designed anti-tubulin agent
N. Gaillard, A. Sharma, I. Abbaali, T. Liu, F. Shilliday, A.D. Cook, V. Ehrhard, A.J. Roberts, C.A. Moores, N. Morrissette, M. Steinmetz
EMBO Molecular Medicine, 18. Oktober 2021 (online)



Weitere Meldungen

Seehund-Laus; Bildquelle: Anika Preuss

Seehund-Läuse sind Königinnen des Klammerns

Forschende der Uni Kiel entschlüsseln überlegene Haltekräfte der Seehund-Laus, ein obligater Ecktoparasit, unter extremen Bedingungen im Meer
Weiterlesen

Die Art Simulium ornatum gehört zu den veterinär- und humanmedizinisch relevanten Kriebelmücken.; Bildquelle: Dorian Dörge

Zunahme von Kriebelmücken in Deutschland erwartet

Forschende der Goethe-Universität und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt haben erstmalig die räumlichen Verbreitungsmuster von Kriebelmücken in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen modelliert
Weiterlesen

Uni Hohenheim

Uni Hohenheim offenbart langfristig steigende Fallzahlen, häufigere „Zecken-Jahre“ und eine hohe Dunkelziffer bei Infektionen

Die Zahl der Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist in Deutschland 2023 gesunken – doch die Entwicklung ist trügerisch
Weiterlesen

EXPERTISE Kompakt – Innovation zur Parasitenkontrolle

Kostenlos: EXPERTISE Kompakt – Innovation zur Parasitenkontrolle

MSD Tiergesundheit lädt im März 2024 zur Vortragsveranstaltung mit Prof. Dr. Achim Gruber zum Thema: „Die Zukunft des Mensch-Haustier-Verhältnisses: Shifting Baselines und Prävention in der Tiermedizin“
Weiterlesen

Die Parasitologin Dr. Sandrine Musa ist eine Koordinatorin des Netzwerks in Deutschland.; Bildquelle: Regina Magana Vazquez/Universität Hohenheim

WIMANET Wildlife Malaria Network: Neue internationale Initiative erforscht Wildtier-Malaria

Der weltweite Wandel des Klimas und Veränderungen in der Landnutzung sind Ursachen dafür, dass sich Krankheitserreger auch in Erdregionen ausbreiten, in denen sie zuvor nicht vorkamen
Weiterlesen

Der ursprünglich in Asien beheimate Marderhund gilt in Europa als invasive Art.; Bildquelle: WildMedia

Marderhunde: Gebietsfremde Allesfresser breiten sich in Europa aus

Senckenberg-Wissenschaftler Prof. Dr. Sven Klimpel hat gemeinsam mit Forschenden der Goethe-Universität Frankfurt im Rahmen des Verbundprojektes ZOWIAC das Fressverhalten von Marderhunden sowie deren potenzielles Übertragungsrisiko von Parasiten untersucht
Weiterlesen

Wadenstecher ; Bildquelle: Michael Bernkopf/Vetmeduni Vienna

Wadenstecher – ein noch selten wahrgenommenes Schadinsekt in der Schweinezucht

Fliegen, so glaubt man, gehören zum Stall wie der Mistkäfer zum Misthaufen. Aber: Der Wadenstecher (Stomoxys calcitrans) – auch bekannt als Stallfliege – ist ein blutsaugender Schädling
Weiterlesen

ESCCAP

ESCCAP: Prävention von durch Zecken übertragbaren Infektionen bei Hunden

Weil Zecken verschiedene und zum Teil lebensbedrohliche Krankheiten auf Hunde übertragen können, werden sie von vielen HundehalterInnen gefürchtet
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen