Gleichgeschlechtliches Sexualverhalten bei Bonobo-Weibchen

(13.09.2019) Um die Ursprünge menschlicher Sozialität zu verstehen, ist auch die Erforschung des Sozialverhaltens unserer nächsten Verwandten, der Bonobos und Schimpansen, wichtig.

Anhand von Daten zum Verhalten und Hormonstatus einer Bonobo-Gruppe aus LuiKotale in der Demokratischen Republik Kongo haben Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, der Harvard University und des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie nun gezeigt, dass sich bei weiblichen Bonobos gleichgeschlechtlicher Sex positiv auf das soziale Miteinander, einschließlich der Kooperation, auswirkt.


Gleichgeschlechtlicher Sex wirkt sich bei weiblichen Bonobos positiv auf das soziale Miteinander aus, einschließlich der Kooperation.

Schimpansen sind für ihre hohe Bereitschaft zur Kooperation bekannt – vor allem unter den Männchen. Sie teilen Nahrung miteinander, unterstützen einander in Konflikten und verteidigen ihr Territorium gegen andere Schimpansen-Gruppen.

Bonobos und ihr Sozialleben wurden bisher vergleichsweise weniger erforscht. Bekannt sind sie als „Hippie-Affen“ vor allem für ihr flexibles Sexualverhalten, die Friedfertigkeit im Umgang verschiedener Gruppen miteinander und der Co-Dominanz zwischen den Geschlechtern.

Bonobos als hypersexuell zu bezeichnen, wäre zu stark vereinfacht, erfasst aber einen faszinierenden Aspekt ihres Sozialverhaltens: Bonobos gehören zu den wenigen Arten, bei denen alle erwachsenen Mitglieder eines Geschlechts gleichgeschlechtlichen Sex haben und das sogar häufiger als gegengeschlechtlichen Sex.

Im Freiland kommt es bei erwachsenen Bonobo-Weibchen regelmäßig zu gleichgeschlechtlichen Genitalkontakten mit vielen anderen Weibchen der Gruppe.

Männchen hingegen haben nur selten Sex miteinander. Es gibt verschiedene Theorien, denen zufolge gleichgeschlechtliches Sexualverhalten beim Abbau sozialer Spannungen und Aggressionen und beim Aufbau sozialer Bindungen helfen könnte.

Keine dieser Theorien kann jedoch erklären, warum ein solches Verhalten in dieser Häufigkeit nur bei den Bonobo-Weibchen auftritt.

Um zu klären, warum gleichgeschlechtliches Sexualverhalten speziell für weibliche Bonobos so wichtig ist, hat ein internationales Forscherteam mehr als ein Jahr lang Verhaltens- und Hormondaten von allen erwachsenen Mitgliedern einer habituierten Bonobo-Gemeinschaft gesammelt, die nahe der Langzeit-Feldforschungsstation LuiKotale in der Demokratischen Republik Kongo beheimatet ist.

Die Forscher haben außer den sexuellen Interaktionen zwischen den Tieren auch dokumentiert, welche Gruppenmitglieder als Partner für andere soziale Aktivitäten, wie zum Beispiel zur Unterstützung im Konfliktfall, ausgewählt werden.

Sie sammelten zudem Urinproben, um die Konzentration des Hormons Oxytocin zu messen, das nach freundlichen sozialen Interaktionen, einschließlich Sex, im Körper freigesetzt wird und die Kooperation fördert.

Dabei stellten die Forscher fest, dass Bonobo-Weibchen in Wettbewerbssituationen lieber mit anderen Weibchen als mit Männchen Sex haben. Nach dem Geschlechtsverkehr blieben die Weibchen oft näher beieinander als Paare verschiedenen Geschlechts.

Darüber hinaus war bei den Weibchen nach dem Geschlechtsverkehr mit einem Weibchen – nicht jedoch nach dem Geschlechtsverkehr mit einem Männchen – ein messbarer Anstieg des Oxytocin-Spiegels im Urin zu verzeichnen.

Unter den gleichgeschlechtlichen und gegengeschlechtlichen Paaren unterstützten Tiere, die mehr Sex miteinander hatten, einander häufiger in Konflikten; doch die Mehrheit dieser Koalitionen wurde von Weibchen gebildet.

„Es kann sein, dass die größere Motivation für die Zusammenarbeit zwischen Weibchen, die physiologisch durch Oxytocin verstärkt wird, der Schlüssel zum Verständnis dafür ist, wie Weibchen hohe Dominanzränge in der Bonobo-Gemeinschaft erreichen“, erklärt Co-Erstautor Martin Surbeck vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der Harvard University.

Auch für Menschen bieten Allianzen zwischen Mitgliedern des gleichen Geschlechts viele Vorteile, darunter die gegenseitige soziale Unterstützung und die gemeinsame Nutzung von Ressourcen.

Es gibt auch historische und interkulturelle Belege dafür, dass solche Allianzen oft durch sexuelle Interaktionen verstärkt werden. „Obwohl es wichtig ist, menschliche Homosexualität nicht mit gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten bei Tieren gleichzusetzen“, so Co-Erstautorin Moscovice vom Leibniz-Institut für Nutztierbiologie, „zeigt unsere Studie, dass sowohl beim Menschen als auch bei einem engen Verwandten die Entwicklung des gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens neue Wege zur Förderung eines hohen Maßes an Kooperation eröffnet hat.“


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