Wird das unterschiedliche Quartierwahlverhalten einer Fledermausart von Traditionen beeinflusst?

(01.11.2017) Die Wechselbeziehung zwischen einer auf Borneo vorkommenden Fledermausart und einer fleischfressenden Kannenpflanze wird vermutlich durch Traditionen beeinflusst.

Dafür haben Forschende der Universitäten Greifswald und Brunei Darussalam nun Hinweise gefunden. Während manche der Tiere nur in gerollten Blättern schlafen, nutzen andere ausschließlich die Kannen fleischfressender Pflanzen als Schlafplatz.


Das Bild zeigt die Kannenpflanze Nepenthes hemsleyana mit ihrem Mutualismuspartner, der Fledermaus Kerivoula hardwickii.
Die Tradition, welche Quartierart genutzt wird, wird mit großer Wahrscheinlichkeit von den Fledermausmüttern an die Jungtiere vermittelt. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt von der Fachzeitschrift Scientific Reports (DOI 10.1038/s41598-017-13535-5) veröffentlicht.

Mutualismen, also Interaktionen zwischen verschiedenen Organismen, von denen jeder profitiert, sind in der Natur weit verbreitet. Doch wie kommt es, dass diese Interaktionen über Jahrmillionen hinweg stabil bleiben, obwohl jeder der beteiligten Partner doch stets auf den eigenen Vorteil bedacht ist?

Auf der Suche nach Antworten kamen Forscher um das Team von Dr. Michael Schöner und Dr. Caroline Schöner vom Lehrstuhl Angewandte Zoologie und Naturschutz der Universität Greifswald einem von der Wissenschaft in diesem Kontext nahezu unbeachteten Aspekt auf die Spur: Dem Einfluss von Traditionen.

Von einer Reihe früherer Studien wusste das Team bereits, dass auf der südostasiatischen Insel Borneo die Hardwicke-Wollfledermaus ausgerechnet in einer fleischfressenden Kannenpflanze ein hervorragendes Quartier gefunden hat: Deren Form entspricht genau der Größe einer Fledermaus, sie weist optimale klimatische Bedingungen für die Tiere auf und kann aufgrund eines Echoreflektors leicht von den Fledermäusen gefunden werden.

Umgekehrt hinterlassen die Fledermäuse, während sie in den Kannen schlafen, ihren Kot darin. Dieser dient der Kannenpflanze Nepenthes hemsleyana als so wichtige Nährstoffquelle, dass sich die Pflanzen im Laufe der Evolution stark an die Fledermäuse angepasst haben.

Doch entdeckten die Forschenden die Fledermäuse auch in den anfangs noch gerollten Blättern von Bananen- und Ingwergewächsen. Sollten die Tiere daher nicht sehr unzuverlässige Partner für die von ihnen abhängigen Nepenthes hemsleyana sein?

„Eigentlich vermuteten wir, dass Nepenthes hemsleyana so viele Vorzüge als Quartier aufweist, dass sie alle anderen Quartiere einfach übertrumpft. Das heißt, wann immer die Fledermäuse zwischen verschiedenen Quartieren wählen können, sollten sie Nepenthes hemsleyana bevorzugen“, sagt Dr. Michael Schöner.

In Experimenten ließen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Fledermäuse zwischen gedrehten Blättern und Kannen wählen. Zwar zeigte sich tatsächlich, dass Tiere, die ursprünglich in einer Kanne gefunden worden waren, auch bei den Experimenten ausschließlich wieder Kannen wählten.

Entgegen der ursprünglichen Vorhersage stellte sich aber heraus, dass auch der Großteil der Tiere, die in einem gedrehten Blatt gefunden worden waren, diese bevorzugt wieder wählten. Immerhin wechselten aber 21 Prozent der Tiere aus gedrehten Blättern in Kannen.

„Wenn sich dies in der Natur ähnlich abspielt, sollte also die Zahl an Fledermäusen, die Nepenthes hemsleyana und nicht gerollte Blätter als bevorzugtes Quartier wählt, allmählich immer größer werden“, bemerkt Dr. Caroline Schöner.

Woher stammte diese extreme Fixierung der Fledermäuse auf ein bestimmtes Quartier, selbst wenn dieses qualitätsmäßig unterlegen war? Um dieser Frage nachzugehen, machten die Forschenden zunächst genetische Analysen der Tiere.

„Es galt zunächst zu klären, ob sich nicht verschiedene ähnlich aussehende Arten hinter den Tieren verbergen, die unterschiedliche Quartiere wählen“, erklärt Professor Gerald Kerth, der Seniorautor der Studie.

Doch auch dies bestätigte sich nicht, alle untersuchten Tiere gehörten tatsächlich zur gleichen Art, egal in welchem Quartiertyp sie den Tag verbrachten. „Auch andere potenzielle Erklärungsmodelle wie etwa die Prägung auf ein bestimmtes Quartier, konnten wir weitgehend ausschließen“, fasst Michael Schöner zusammen.

Was blieb, war die starke Vermutung, dass es sich beim Quartierwahlverhalten der Fledermäuse um eine Tradition handelt. Dafür spricht auch, dass die Tiere in unterschiedlichen Gebieten unterschiedliche Quartiere verwenden.

Lediglich in einem Gebiet verwendeten die Fledermäuse sowohl Kannenpflanzen als auch gerollte Blätter, jedoch stellte sich heraus, dass auch hier jedes einzelne Tier auf nur einen Quartiertyp festgelegt war und niemals zwischen Kannen und Blättern wechselte.

Darüber hinaus zeigten die genetischen Analysen der Tiere in diesem Gebiet, dass Tiere mit dem gleichen Quartierwahlverhalten näher miteinander verwandt waren, als mit ihren Artgenossen, die den jeweils anderen Quartiertyp nutzten.

Ein letzter Hinweis, der für den Einfluss von Traditionen spricht, ist die Tatsache, dass die Jungtiere mindestens 77 Tage bei ihren Müttern bleiben – eine im Vergleich zu anderen Fledermausarten außergewöhnlich lange Zeit.

In dieser kritischen Zeit erlernen die Jungtiere von den Müttern nicht nur das Jagen, „auch das Quartierwahlverhalten wird mit größter Wahrscheinlichkeit von den Müttern an ihre Kinder weitergegeben“, vermutet Caroline Schöner.

Wird also die Nutzung von Nepenthes hemsleyana als geeignetem Quartier von den Müttern an die Jungtiere weitertradiert, so stabilisiert sich ihre Interaktion. Die Forscher planen nun weitere Experimente, um den Einfluss von Tradition auf diesen Fledermaus-Kannenpflanzen-Mutualismus zu bestimmen.

Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie den Universitäten Brunei Darussalam und Greifswald finanziert.

Publikation

Stabilization of a bat-pitcher plant mutualism. Michael G. Schöner1, Rebecca Ermisch1, Sébastien J. Puechmaille1, T. Ulmar Grafe2, Moi Chan Tan2 and Gerald Kerth1
Scientific Reports: http://www.nature.com/articles/s41598-017-13535-5
DOI10.1038/s41598-017-13535-5



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