Ein Vergleich mit Schimpansen: Woher kommen die Geschlechtsunterschiede des menschlichen Beckens?

(25.03.2021) Das Becken ist jener Teil des Skeletts, bei dem die größten Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern auftreten. Der Geburtskanal im weiblichen Becken ist weiter, und die Gestalt des weiblichen Beckens macht so die Geburt von unseren großen Babys mit ihren besonders großen Köpfen erst möglich.

Dies macht sich z.B. die Forensik bei der Geschlechtsbestimmung von menschlichen Skeletten zunutze. Bisher wusste man nicht, wann diese Unterschiede in der menschlichen Evolution entstanden sind. Barbara Fischer von der Universität Wien und ihre Koautor*innen veröffentlichten nun in einer Studie in Nature Ecology & Evolution neue Erkenntnisse über das evolutionäre Entstehen der Geschlechtsunterschiede im Becken.


Geschlechtsunterschiede im Becken beim Menschen (erste Zeile) und beim Schimpansen (zweite Zeile). Die beiden mittleren Spalten zeigen die tatsächlichen Geschlechtsunterschiede, in den beiden äußeren Spalten in der Unterschied überzeichnet dargestellt. Die weiblichen Becken sind links, die männlichen rechts gezeigt

Beckenfossilien menschlicher Vorfahren sind sehr selten, da das Becken meist nicht gut erhalten bleibt. Daher war es bisher nicht klar, ob dieses Muster der Beckenunterschiede gleichzeitig mit dem aufrechten Gang, oder erst später, mit dem Auftauchen des großen menschlichen Gehirns, entstanden ist. "Wir haben nun herausgefunden, dass das Muster der Beckenunterschiede tatsächlich viel älter ist, als bisher angenommen", so die Evolutionsbiologin Barbara Fischer.

Die Biolog*innen von der Universität Wien, dem KLI für Evolutions- und Kognitionsforschung und der Universität Calgary verglichen Beckenunterschiede beim Menschen mit jenen beim Schimpansen, der nächstverwandten noch lebenden Art des modernen Menschen. Schimpansen haben eine weitaus einfachere Geburt als Menschen, da ihre Neugeborenen kleiner sind.

"Dazu untersuchten wir 3D-Daten des Beckens der beiden Arten und fanden heraus, dass diese das gleiche Muster von Geschlechtsunterschieden im Becken besitzen, trotz der großen Artunterschiede", so Fischer. Das Gesamtausmaß der Unterschiede war beim Schimpansen aber nur halb so groß wie beim Menschen. Dass das Muster bei Menschen und Schimpansen so ähnlich ist, weist darauf hin, dass es bereits beim gemeinsamen Vorfahren der beiden Arten vorhanden war. Das bedeutet, dass alle ausgestorbenen Menschenarten, wie z.B. die Neandertaler, vermutlich ebenfalls dasselbe Muster im Becken besessen haben.

Tatsächlich gibt es viele Säugetierarten, z.B. Fledermäuse oder manche Primaten, die sogar größere Neugeborene relativ zu ihrem Geburtskanal zur Welt bringen als der Mensch, und die dazu Anpassungen im weiblichen Becken besitzen. Gleichzeitig gibt es andere Säugetierarten, z.B. Katzen oder Opossums, die winzige Neugeborene haben und bei denen dennoch gewisse Beckenunterschiede zwischen den Geschlechtern vorkommen, die dem menschlichen Muster ähneln.

Dies weist darauf hin, dass es sich dabei um ein altes, evolutionär konserviertes Säugetiermuster handelt.

"Wir denken, dass der moderne Mensch dieses Muster der Beckenunterschiede nicht neu entwickelt, sondern von frühen Säugetieren geerbt hat, die dasselbe Problem hatten wie der Mensch, nämlich sehr große Neugeborene gebären zu müssen."

Als sich schließlich im Lauf der menschlichen Evolution das Gehirn vergrößerte, konnte das Ausmaß der Geschlechtsunterschiede im Becken deshalb vermutlich rasch vergrößert werden. Die entwicklungsbiologischen und genetischen Mechanismen, die diese Unterschiede erzeugen, waren nämlich bereits vorhanden und mussten nicht neu enstehen.





Weitere Meldungen

Die anatomische Präparation von Hund und Katze

Die anatomische Präparation von Hund und Katze

Dieses Begleitlehrbuch für die anatomischen Präparierübungen von Hund und Katze führt mit 310 hochwertigen Fotografien aus dem Präpariersaal in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung durch den Prozess der anatomischen Präparation
Weiterlesen

Anatomie und Physiologie der Haustiere

Anatomie und Physiologie der Haustiere

In der 16. Auflage wird verstärkt die Entwicklung von Krankheiten im Zusammenhang mit den anatomischen und physiologischen Gegebenheiten behandelt
Weiterlesen

Größenvergleich von Zähnen eines heutigen ca. 2,7m langen Weißen Hais Carcharodon carcharias (A) und eines ca. 9m langen Otodus megalodon aus dem Miozän von South Carolina, U.S.A. (B).; Bildquelle: J. Kriwet

Anders als gedacht: Urzeithai Megalodon unterscheidet sich in Körperform und Lebensweise vom Weißen Hai

Forschungsteam liefert neue und tiefere Einblicke in die Biologie eines der größten jemals existierenden marinen Fleischfressers
Weiterlesen

Mikro-CT-Scans eines Halswirbels; Bildquelle: Senckenberg

Fossile Vogel-Halswirbel mit knotenförmigen Verdickungen

Dr. Gerald Mayr hat gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam ungewöhnliche Skelett-Strukturen verschiedener europäischer Vogel-Fossilien aus dem Eozän untersucht
Weiterlesen

Zehn Tafeln zur Anatomie des Pferdes aus 1878

Für Sammler: Zehn Tafeln zur Anatomie des Pferdes aus 1878

Am 19. Dezember 2023 kommt im Wiener Dorotheum die erste Auflage eines seltenen Werkes zur Pferdeanatomie zur Online-Versteigerung
Weiterlesen

Maul der Art Panaqolus cf. Changae; Bildquelle: Konn-Vetterlein

Die große Vielfalt der Fischmäuler: Welse haften anders als gedacht

Welse kennen einige aus dem heimischen Aquarium als „Fensterputzer“ – denn sie verfügen über ein Mundwerkzeug, mit dem sie sich an ganz unterschiedlichen Oberflächen festsaugen können
Weiterlesen

Die Anatomie des Pferdes: Eine Reise durch den Pferdekörper

Die Anatomie des Pferdes: Eine Reise durch den Pferdekörper

Faszination Pferdekörper - Standardwerk mit beeindruckenden neuen Grafiken!
Weiterlesen

Die genetischen Programme, die für die Ausbildung von geschlechtsspezifischen Organeigenschaften bei Säugetieren verantwortlich sind, werden fast ausschließlich spät in der Entwicklung der Organe, nämlich mit der Geschlechtsreife, angeschaltet.; Bildquelle: Leticia Rodríguez-Montes

Wie sich die Organe männlicher und weiblicher Säugetiere unterscheiden

Wissenschaftler aus Heidelberg und London entschlüsseln genetische Programme, die der Entwicklung geschlechtsspezifischer Merkmale von Säugetierorganen zugrunde liegen
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen