Warum Huftiere im Neogen größer wurden

(02.03.2017) Bis zum Beginn des Pleistozäns wurden Huftiere immer größer; maßgeblich dafür verantwortlich ist das Prinzip der gerichteten Selektion, schreiben Senckenberg-Wissenschaftlerinnen im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B".

Größere Huftiere setzten sich demnach durch, weil sie öfter neue Arten bildeten und eine höhere Überlebensrate hatten. In der kürzlich veröffentlichten Studie wurde zum ersten Mal die Entwicklung von zwei Säugetierordnungen während des Neogens auf zwei Kontinenten verglichen.


Flusspferd-Schädel aus dem Pleistozän. In den 20 Mio. Jahren zuvor setzten sich große Huftierarten gegenüber kleineren durch, so dass Huftiere insgesamt durch gerichtete Selektion immer größer wurden.
Die Autoren zeigen auf, dass die jeweilige Umgebung, in der Evolution stattfindet, Erklärungspotential für überregional ähnliche Muster liefert.

Was hält die Zukunft für Huftiere bereit? In der Vergangenheit – so scheint es zumindest – hat sich Größe ausgezahlt, denn mehrere Studien haben gezeigt, dass die Körpermasse von Säugetieren, zu denen auch Huftiere zählen, bis zum großen Aussterben während der Eiszeiten zugenommen hat.

Oft fiel dies mit einer Abkühlung des Klimas zusammen. Heute hingegen sind Populationen großer Tierarten mehr als andere vom Landnutzungswandel bedroht. Einige Forscher halten es sogar für möglich, dass der Klimawandel Tierarten wieder kleiner werden lässt.

Ein detaillierter Einblick in die Muster der Evolution der Körpermasse könnte dazu beitragen, die bevorstehenden Veränderungen vorherzusagen.

Dr. Shan Huang vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und ihre Kollegen haben dazu einen Satz von Fossilien großer Pflanzenfresser aus den Ordnungen der Paarhufer (Artiodactyla) und Unpaarhufer (Perissodactyla) analysiert.

Die fossilen Überreste von etwa 500 Arten von Giraffen, Flusspferden, Nashörnern und den mittlerweile ausgestorbenen Chalicotherien stammen aus der Zeit des Neogens (vor 23 bis zwei Millionen Jahren).

Dabei wurde zum ersten Mal die Entwicklung der Körpermasse der Huftiere während dieses Zeitraums sowohl in Europa als auch Nordamerika analysiert und verglichen.

Während bisherige Studien lediglich den durchschnittlichen Anstieg der Körpermasse betrachteten, lag das Augenmerk von Huang auf der Entwicklung der minimalen Körpermasse.

"Insgesamt gesehen hat sowohl die minimale als auch die maximale Körpergröße während des von uns untersuchten Zeitraums signifikant zugenommen. Ein Anstieg der minimalen Körpermasse lässt darauf schliessen, dass der Grund gerichtete Selektion ist.

Das heisst, die Tiere wurden im Lauf der Zeit nicht durch Zufall öfter größer als kleiner – wie früher angenommen wurde. Stattdessen verschwanden kleine Arten ganz, weil größere Arten grundsätzlich evolutionäre Vorteile im Wettbewerb um natürliche Ressourcen hatten", sagt Huang.

Die Mechanismen der gerichteten Selektion werden laut den Forschenden zudem an zwei Ergebnissen deutlich: Erstens entwickelten sich im Verlauf der untersuchten zwanzig Millionen Jahre aus Paarhuferarten, die bereits vergleichweise große Körper hatten, öfter neue Arten als aus kleineren Paarhuferarten.

Das erklärt auch, warum die Körpermasse der Tiere auf beiden Kontinenten insgesamt zunahm. “Mit zunehmender Größe war es wohl leichter, sich einem neuen Lebensstil anzupassen und Nischen, die zu der Zeit entstanden, zu besetzen.

Letzteres ist oft die Grundlage von schneller Aufspaltung in neue Arten", bemerkt die Ko-Autorin Dr. Susanne Fritz, Senckenberg Biodiversiät und Klima Forschungszentrum.

In Nordamerika waren größere Paarhuferarten zudem weniger vom Aussterben betroffen als kleinere. Dieses Muster traf auch auf die nordamerikanischen Unpaarhufer zu. Das Forscherteam spekuliert, dass dies dem abkühlenden Klima am Ende des Neogens geschuldet ist.

Der nordamerikanische Kontinent war damals noch nicht mit Südamerika per Landbrücke verbunden, was eine Migration in wärmere Gefilde erheblich erschwerte. Arten mit größer Körpermasse waren vermutlich besser in der Lage, sich den neuen Umweltbedingungen und dem veränderten Nahrungsangebot anzupassen.

„Unsere Studie zeigt, dass überregional verbreitete evolutionäre Trends je nach Region durch verschiedene Prozesse hervorgerufen werden können.

Ein einzelnes Merkmal – in unserem Fall die Körpermasse – kann je nach Region und Tierordnung unterschiedlich mit Artbildungs- und Aussterberaten verknüpft sein“, so Huang und fährt fort: “Wir müssen die Umgebung, in der Evolution stattfindet, stärker miteinbeziehen, um die großen Muster, nach denen sie abläuft, zu verstehen und letzlich als Basis für Zukunftsprognosen zu nutzen.

Ein Ansatzpunkt wäre – wie von uns vorgemacht – makroökologische Studien stärker kontinentübergreifend auszulegen.“




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