Rätsel um Halswirbel beim Faultier gelöst

(19.10.2010) Fast alle der rund 5000 Säugetierarten haben exakt sieben Halswirbel. Ausnahmen gibt es nur wenige. Zu ihnen zählt das Faultier, mit acht bis zehn Halswirbel.

Dies zumindest war die bisherige Annahme. Ein internationales Forscherteam, darunter auch ein Paläontologe der Universität Zürich, hat jetzt jedoch bewiesen, dass auch das Faultier keine Ausnahme macht und nicht mehr als sieben Halswirbel hat.

Diese Erkenntnis resultiert aus der Untersuchung des Verknöcherungsprozesses und wird jetzt im PNAS publiziert.


Dreifinger-Faultier (Bradypus Tridactylus)

Ein Vergleich zwischen den Wirbelsäulenbauplänen von Vögeln, Schlangen, Echsen und vielen anderen Tieren offenbart einen eindrucksvollen Variantenreichtum. Dies bezieht sich auch auf die Zahl der Halswirbel. So hat beispielsweise ein Schwan doppelt so viele Halswirbel wie ein Singvogel.


Ein ganz anderes Bild zeigt sich diesbezüglich bei den Säugetieren: So unterschiedlich die Arten sind, alle haben gleich viele Halswirbel: Die Giraffe und der Mensch, die Maus, der Elefant und auch das Gürteltier, alle haben sie exakt sieben Halswirbel. Unter den rund 5000 Säugetierarten gibt es nur wenige, deren Halswirbelzahl von dieser Norm abweicht.

Zu diesen Ausnahmen gehörten gemäss bisheriger Annahme die Faultiere: Im Halsbereich haben sie acht bis zehn rippenlose Wirbel, die in Analogie zu den übrigen Säugetieren als Halswirbel bezeichnet wurden.

Denn gemäss der in der Anatomie gebräuchlichen Definition gehören alle Wirbel, die oberhalb des Schultergürtels liegen, zu den Halswirbeln. Merkmale für Brustwirbel dagegen sind deren Rippenfortsätze.

Marcelo R. Sánchez, Paläontologe der Universität Zürich, ist zusammen mit zwei seiner ehemaligen Doktorandinnen Teil einer internationalen Forschergruppe, welche erstmals den Verknöcherungsprozess analysiert hat – auf der Suche nach einer Erklärung für die Abweichungen zwischen dem Wirbelsäulenbauplan der Faultiere und jenem der übrigen Säuger.

Dabei sind die Forschenden auf aufschlussreiche entstehungsgeschichtliche Unterschiede gestossen.

Aus Halswirbel werden Brustwirbel

Die Wissenschaftler erforschten mit computertomografischen Methoden die Verknöcherungsprozesse von Hals- und Brustwirbeln an seltenen Faultier-Embryonen aus alten Museumssammlungen.


Wirbelsäulenbauplan des Dreifinger-Faultier-Embryos Bradypus Tridactylus; seitliche Ansicht einer 3-D-Skelett-Rekonstruktion (Computertomografie-Bild; rot, blau: Anlage der Wirbelsäule; grün, orange: Schulter- und Beckengürtel)
In der Folge konnten sie nachweisen, dass bei allen Säugetieren die Verknöcherung der obersten Brustwirbel jeweils vor der Verknöcherung der Halswirbel stattfindet.

Einzige Ausnahme: Faultiere. Bei den sogenannten Dreifinger-Faultieren findet die Verknöcherung der Rumpf- und der rippenlosen Halswirbel vor der Verknöcherung der Wirbel des Brustkorbs statt.

Dabei machten die Forschenden eine erstaunliche Entdeckung: Die untersten ein bis drei, als «Halswirbel» bezeichneten Wirbel der Faultiere weisen in ihrer Entstehung eine grosse Ähnlichkeit mit Brustwirbeln auf, sind aber im Unterschied zu diesen nicht mit Rippen versehen.

Daraus folgt: Entstehungsgeschichtlich sind die untersten ein bis drei Wirbel im Halsbereich von Faultieren nichts anderes als rippenlose Brustwirbel.

Das heisst, die Zahl der effektiven Halswirbel reduziert sich damit auch für Faultiere auf sieben – womit folglich selbst diese Tierart den für Säugetiere typischen konservativen Wirbelsäulenbauplan aufweist.

Die neuen Forschungsresultate unterstützen die These, dass Wirbel, Glieder und zumindest Teile des Brustkorbs unterschiedliche embryonale Ursprünge haben. Bei Dreifinger-Faultieren sind die Position von Schulter, Becken und Brustkorb von einander abhängig.

Im Vergleich zu den Vorfahren, die sie mit anderen Säugetieren teilen, sind beim Dreifinger-Faultier die Positionen von Schulter, Becken und Brustkorb auf der Wirbelsäule nach unten verschoben, wodurch der Hals länger wird. – Mehr Halswirbel als andere Säuger hat aber das Faultier im Rahmen der Entwicklungsgeschichte nicht gemacht.

Literatur:

Lionel Hautier, Vera Weisbecker, Marcelo R. Sánchez-Villagra, Anjali Goswami, Robert J. Asher, Skeletal development in sloths and the evolution of mammalian vertebral patterning, PNAS,
doi 10.1073

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